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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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es nie mehr so sein würde wie früher.
     
    Der Vizepräsident des Unternehmens – Farnham, Fordham, sie wußte nicht mehr, wie er hieß, und sobald sie aus dem Büro heraus war, konnte ihr das sowieso egal sein – verabschiedete sein unsichtbares Gegenüber am anderen Ende der Leitung knapp und forsch. Er grinste Olga an und nickte zum Zeichen, daß er jetzt für sie da war.
    »Ich weiß nicht, warum ich lache.« Befremdet über seine eigene deplazierte Reaktion schüttelte er den Kopf und gab dann seinen Zügen einen künstlich betroffenen Ausdruck. »Wir hier bei Obolos Entertainment werden dich vermissen, Olga. Ohne dich wird die Sendung nicht mehr sein, was sie war, soviel steht fest.« Sie war gerade altmodisch genug, um mit innerem Widerwillen zu reagieren, wenn sie ihren Vornamen aus dem Mund eines fast zwanzig Jahre jüngeren Mannes hörte, aber auch altmodisch genug, um es sich nicht zu verbitten, nicht einmal heute, wo sie nichts mehr zu verlieren hatte. Aber Olga wollte auch keine Zeit mit unehrlichem Geschwätz vergeuden – sie hatte noch etliche Dinge zu erledigen, und einige davon erschreckten sie mehr als die Aussicht, wegen wahrscheinlich dauernder Arbeitsunfähigkeit mit Onkel Jingles Dschungel aufhören zu müssen.
    »Ich werde die Arbeit auch vermissen«, antwortete sie und spürte, daß das stimmte. »Aber ich glaube, es wäre nicht gut für mich, weiter live im Netz zu agieren – mit diesem Problem geht das einfach nicht.« Sie kam sich reichlich verlogen vor, es ein Problem zu nennen, da ihr mittlerweile vollkommen klar war, daß etwas viel Größeres und Seltsameres dahintersteckte, aber hier in der normalen Welt war es leichter, sich mit den Einheimischen in ihrer Sprache zu verständigen.
    »Gewiß, gewiß.« Auf dem Bildschirm hinter Fordham oder Farnham hatte Onkel Jingle seinen Tanz beendet und erzählte jetzt mit vielen ausladenden Handbewegungen eine Geschichte. »Selbstverständlich wünschen wir dir alle eine rasche Genesung – was nicht heißt, daß wir dich gleich wieder an die Arbeit hetzen wollen!« Er lachte und blickte dann ein wenig irritiert, als Olga nicht mit einstimmte. »Nun ja, im Grunde, denke ich, ist nicht mehr allzuviel zu klären – diese Abschiedsgespräche sind natürlich in erster Linie eine Formalität.«
    »Natürlich.«
    Er überflog kurz ihre Akte auf seinem schimmernden Schreibtisch und betete ihr noch einmal einige Punkte ihrer Abfindungsregelung vor, die sie schon mehrmals bei anderen Gesprächen gehört hatte. Nachdem er noch ein paar lobende Platitüden abgelassen hatte, brachte er die Unterredung gnädig zu Ende. Olga ging die Frage durch den Kopf, was für antiquierte Hintergedanken sich wohl mit solchen Besprechungen verbanden – ob dieses Ritual in seiner ursprünglichen Form eine Gelegenheit gewesen war, die weggehende Aushilfskraft abzuklopfen und sich zu vergewissern, daß sie auch kein Familiensilber mitgehen ließ? Oder glaubte die Obolos Entertainment Corporation etwa ihren eigenen Marketingspruch: »Deine Freunde fürs Leben!«
    Olga ließ den galligen Gedanken fahren. War es immer so? Daß unabhängig davon, mit welcher Gewalt ein Mensch von Wahn oder Vision heimgesucht wurde, das Banale und Kleinliche gelegentlich doch wieder die Oberhand gewann? Hatte Jeanne d’Arc zu den Zeiten, wo ihre Stimmen vorübergehend verstummten, Betrachtungen darüber angestellt, ob dieser oder jener Turm so hoch war wie ein anderer, den sie einmal gesehen hatte, oder ob ihre Rüstung sie dick machte?
     
    Es war erst zwei Nächte vorher geschehen.
    Olga hatte die Onkel-Jingle-Figur und die Sendung eine halbe Stunde früher verlassen, weil ihr der Kopf so weh tat. Sie hatte diese Kopfschmerzen schon eine ganze Weile nicht mehr gehabt, aber diesmal waren sie erschreckend heftig gewesen, als ob ihr Schädel ein heißes, dünnschaliges Ei wäre, aus dem etwas mit Gewalt hervorzubrechen versuchte. Selbst nach einer doppelten Dosis Schmerzmittel war sie stundenlang nicht eingeschlafen, und als der Schlaf schließlich gekommen war, hatten monströse Traumbilder sie bedrängt, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, aber von denen sie ebenso wie von den unaufhörlichen Schmerzen mehrmals ruckartig wach geworden war.
    Irgendwann zwischen drei und vier, in der kältesten, hohlsten Stunde der Nacht, war sie erneut aufgewacht, aber diesmal war der Schmerz weg gewesen. Sie hatte in einem merkwürdig ruhigen Gemütszustand in die Dunkelheit und Stille um sie herum

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