Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
träumt.«
Es gab nichts dagegen einzuwenden, keinen Spalt, in den sie sich mit den Fingernägeln eines Gegenarguments hätte krallen können, und die Müdigkeit lastete schwer auf ihr. Renie gähnte, wollte etwas sagen, aber gähnte abermals.
»Wir reden drüber, wenn du aufwachst …«, verhaspelte sie sich. »Ich wollte sagen, wenn du mich aufweckst und ich mit der Wache dran bin.«
»Schlaf jetzt«, sagte er. »Schau, die anderen schlafen schon.«
Sie sah gar nicht hin. Sie hörte Florimels Atem einen Meter neben sich gleichmäßig rasseln, und je länger sie lauschte, um so mehr schien das Geräusch sie tief hinunterzuziehen, tief, tief, tief.
»Er ist was?« Sie schüttelte die Lethargie nach dem Aufwachen ab; das Herz in der Brust fühlte sich plötzlich an wie ein fest zugezogener Drahtknoten. »Der Mistkerl! Er hat doch gesagt, wir wollten nochmal drüber reden!«
»Er hat gewartet, bis es zu dämmern anfing, aber er war entschlossen, Renie.« Florimel hatte die letzte Wache gehabt und damit !Xabbu als einzige gehen sehen. Er hatte Renie nicht geweckt. »Du hättest ihn nicht aufhalten können, du hättest es nur schwerer gemacht.«
Renie war wütend, doch sie wußte, daß Florimel recht hatte. »Ich bin bloß … Was ist, wenn wir ihn auch noch verlieren? Wir brechen auseinander, werden immer weniger …«
Florimel packte sie hart am Arm. Abendlicht drang zwischen den Vorhängen hindurch, so daß der Unmut auf dem Gesicht der anderen Frau schwer zu übersehen war. »Die andern wachen auf. Sie müssen solche Sachen nicht hören, schon gar nicht von dir.«
»Aber du weißt, daß ich recht habe.« Renie ließ den Kopf hängen. Das war das problematische daran, alles fest in der Hand haben zu wollen, auch wenn die Widrigkeiten immer größer wurden: Sobald die Dinge dem Griff entglitten, war die Versuchung aufzugeben fast übermächtig. »Quan Li und William und Martine sind schon fort, von Orlando und Fredericks ganz zu schweigen – und jetzt auch noch !Xabbu . Wo soll das hinführen? Daß zuletzt nur noch du und ich übrig sind und wir uns streiten, von welchem Felsen wir uns stürzen sollen?«
Florimels Lachen war jäh und unerwartet. »Da würden wir wahrscheinlich lange streiten, Renie. Ich hätte bestimmt einen viel besseren Blick für den richtigen Felsen als du.«
Renie brauchte einen Moment, um zu begreifen, daß Florimel einen Scherz gemacht hatte – die Deutsche entwickelte sich zu einer regelrechten Ulknudel. Renie ließ sich von ihrem grimmigen Galgenhumor anstecken. Vielleicht würden plötzlich alle ganz neue Rollen übernehmen, wenn die Gruppe weiter schrumpfte. Was wäre als nächstes dran, T4b als ihr Diplomat? Emily als Ordnungshüterin? »Ich glaube kaum, daß ich die Energie haben werde zu streiten, Florimel«, sagte Renie schließlich und rang sich ein Lächeln ab. »Weißt du was? Ich versprech dir, daß du den Felsen aussuchen darfst.«
»Tapfer gesprochen, Soldat.« Florimel lächelte zurück und klopfte ihr auf die Schulter. Ihre Unbeholfenheit bei der freundlichen Geste machte sie Renie auf einmal sympathischer als je zuvor.
»Gut«, sagte sie. »Also warten wir. Herrje, ich hasse Warten! Aber wenn wir schon wegen !Xabbu nichts unternehmen können, können wir doch wenigstens planen, wie wir vorgehen, wenn er wieder da ist, oder?«
»Wieso sind wir hier?« fragte Emily schläfrig von der Bank, wo sie ihren Kopf auf T4b gebettet hatte, ziemlich unbequem, wie es aussah. »Ich will nicht mehr hier sein.«
»Nein, natürlich nicht.« Renie seufzte. »Aber wir andern finden es hier so toll, daß wir noch ein bißchen bleiben möchten.«
Renies leicht gehobene Laune hielt nicht lange an. Obwohl sie das Warten auf !Xabbus Rückkehr nutzten, um sich ein paar Waffen zusammenzuklauben – gesplitterte Tischbeine und schwere Vorhangstangen als Keulen und Speere, sogar ein Zierschwert, das in einem der unteren Säle unbeachtet in einer Nische hing –, hielt sich das, was sie planen und vorbereiten konnten, in Grenzen. Als es langsam Nacht wurde und die Nacht sich dehnte und dehnte, ohne daß der Mann im Paviansim sich blicken ließ, wurde der Knoten in Renies Brust unerträglich.
»Ich hab ja gesagt, wir hätten ihn nicht allein gehen lassen sollen!«
Florimel schüttelte den Kopf. »Er muß viele Türme auskundschaften. Und selbst wenn ihm was zustößt – was wir natürlich alle nicht hoffen wollen –, wäre deswegen doch sein Plan nicht falsch. Wir übrigen
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