Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
schüttelte ungeduldig den Kopf. »Von mir aus. Dann eben keine KI, sondern eins von diesen andern Dingern, ein KL-System. Aber ich sag dir eins, am andern Ende der Leitung dort ist irgendwas Lebendiges. Irgendwas, das denkt.«
Sie wollte etwas einwenden, aber schluckte es herunter. »Wie kam’s, daß du rausgeflogen bist?«
»Ich bin getötet worden.« Er brach ab und starrte den Kellner an, der mit dem Kaffee gekommen war. Der junge Mann stellte laut klirrend eine Tasse ab, vielleicht aus Nervosität, und entfernte sich schleunigst. Dread zuckte mit den Achseln. »Blöde Sache, ein unglücklicher Zufall. Ich hab nicht richtig aufgepaßt.«
»Und die andern?« Es war komisch – Dulcy vermißte sie, ihre Persönlichkeiten und ihre Courage, ja, sie vermißte überhaupt das ganze Abenteuer. Manchmal war es ihr in dem Quan-Li-Körper schwergefallen, daran zu denken, daß sie selbst nicht online gefangen war wie die anderen, daß sie am Ende des Tages von der Strippe gehen und in ihrem eigenen Bett schlafen konnte, ohne fürchten zu müssen, ein Fehler im virtuellen Universum, ein Unglück oder ein Moment der Unachtsamkeit könnte ihr zum Verhängnis werden.
Er schürzte die Lippen und durchbohrte sie mit einem Raubtierblick. »Die sind mir doch scheißegal. Hörst du jetzt vielleicht endlich zu? Hast du vergessen, wer dich bezahlt?« Er sah aus, als wollte er sie gleich am Hals packen.
»Tut mir leid. Ich bin müde.«
»Da am andern Ende ist irgendwas, kapier das mal. Wenn es keine KI ist, dann denk dir meinetwegen einen andern Namen aus – das ist dein Job, nicht meiner. Aber ich weiß, es lebt, und ich weiß, es will verhindern, daß ich reinkomme. Wir haben den Quan-Li-Sim verloren, und damit ist dieser Zugang zum Netzwerk futsch.«
»Könntest du durch … durch deinen Arbeitgeber irgendwas rauskriegen? Es ist schließlich sein System.«
»Mensch!« Er zischte das Wort heraus. Wenn er gebrüllt hätte, wäre sie nur erschrocken, so aber erstarrte sie wie ein Kaninchen vor der Schlange. Einen Moment lang kam ihr die Sorge, er könnte sie packen, geradezu lachhaft gering vor. »Hast du denn alles vergessen? Wenn der Alte Mann auch nur vermutet, daß ich mich an seinem Netzwerk zu schaffen mache, wird er …« Er setzte sich zurück; sein Gesicht war schlagartig zugegangen. »Langsam frage ich mich, ob es ein Fehler war, dich herzuholen.«
Ein Teil von ihr wußte, daß sie jetzt um Verzeihung bitten sollte. Ein anderer, vielleicht gesünderer Teil wünschte sich, er möge sie wegschicken, so daß sie das nächste Flugzeug nach New York nehmen konnte. Aber eine kalte Trägheit war in ihr Rückgrat gekrochen. »Wie gesagt«, erklärte sie in einem Ton, der fast so ausdruckslos war wie der Dreads, »ich bin müde.«
Die harte Maske wurde augenblicklich weich. Wieder blitzten die Zähne. »Natürlich. Ich mach zu sehr Druck, die Sache putscht mich ziemlich auf. Wir können heute abend weiterreden, oder auch morgen früh. Komm, wir gehen, damit du dich ausschlafen kannst.« Er schnappte so blitzschnell die Rechnung vom Tisch, daß sie vor dem Schwung zurückzuckte. Bevor sie sich versah, hatte er eine Karte über den Tischleser gewischt und schritt auf die Tür zu. Sie brauchte ein Weilchen, bis sie sich soweit gefaßt hatte, daß sie aufstehen und ihm folgen konnte.
»Das Zimmer ist in Ordnung«, sagte sie langsam. »Ich dachte bloß … ich würde in einem Hotel logieren. Oder so.«
Er schien schon wieder vor Energie zu bersten. »Nein, nein. Das wäre nichts. Ich werde dich hier zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten brauchen. Manchmal wirst du mit aufgesetzter Brille schlafen müssen. Du wirst dir dein saftiges Beraterhonorar verdienen, Süße.«
Sie überflog das Zimmer, das es in seiner spartanischen Einfachheit mit dem großen Atelierraum weiter vorn aufnehmen konnte. Sie fand es eine seltsame, geradezu rührende Geste, daß er ihr die Steppdecke und das obere Laken umgeschlagen hatte. »Okay. Du bist der Boß.«
»Ach, keine Bange«, sagte er grinsend. »Wenn du gut spurst, dann springt bei dieser Sache mehr für dich raus als ein Haufen Geld.«
»Prima.« Außerstande, ihm weiter zuzuhören, ließ sie sich auf das Bett plumpsen. Ihr Kopf fühlte sich an wie mit nasser Wäsche vollgestopft. Alle Befürchtungen – oder Hoffnungen –, er könnte sie anmachen, waren in der Dumpfheit ihres Jetlags untergegangen. »Ganz prima.«
»Das ist kein Witz, Dulcy.« Er blieb in der Tür stehen und
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