Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
jahrelang kein Wort mehr mit ihr geredet. Ich war verheiratet … Ich war verheiratet …« Er bekam wieder ein weinerliches Gesicht und verstummte eine Weile. »Mein Leben lief prima. Da rief mich Renie mit irgendeiner verrückten Geschichte über einen virtuellen Nightclub an, und jetzt ist alles kaputt.«
Nachdem er Renies Bitte und ihr Treffen auf der Golden Mile geschildert hatte, starrte Del Ray eine Weile schweigend auf sein Bier. »Diese drei Kerle kamen an und haben mich ins Gebet genommen«, sagte er schließlich. »Und damit ging das ganze Schlamassel los.«
Joseph bemerkte mit Sorge, daß in seiner Flasche nur noch wenige Schlucke übrig waren. Er drückte den Pfropfen drauf und stellte sie auf den Boden, knapp außerhalb seines Blickfeldes, damit sie etwas länger vorhielt. »Und wer waren die Kerle, die mit dir reden wollten? Buren, haste gesagt?«
»Zwei waren Afrikaander. Einer war schwarz. Der Wortführer, der häßliche weiße Hüne, erklärte mir, ich hätte Fragen gestellt, die mich nichts angingen – ich hätte ein paar wichtige Leute sehr betrübt. Sie wollten wissen, wer Renie ist, und vor allem, warum sie Kontakt zu einer Französin namens Martine Desroubins hat …«
»Mach halblang. Das alles wegen dieser Franzosentussi?«
»Du kannst mir ruhig glauben. Ich habe ihnen gesagt, ich wüßte weder von dieser Frau noch sonstwas, Renie wäre bloß eine alte Freundin, die mich um einen Gefallen gebeten hätte. Ich hätte ihnen nichts sagen sollen, aber ich hatte Angst. Kurze Zeit später kamen sie wieder und sagten, Renie würde nicht mehr in der Unterkunft wohnen – ihr wärt ausgezogen. Sie sagten, sie müßten unbedingt mit ihr reden, sie wollten ihr klarmachen, daß es klüger wäre, die Finger von der ganzen Sache zu lassen. Also machte ich …«
»Moment mal!« Long Joseph richtete sich auf und hätte dabei um ein Haar die Plastikflasche umgestoßen. Trotz seines aufsteigenden Zorns hielt er sie geistesgegenwärtig fest. »Du warst das, der Renie ans Messer liefern wollte, jetzt weiß ich’s wieder. Du hast ihren Anruf geortet …«
»J-ja … hab ich.«
»Ich sollte dir den Kopf abreißen!« Seine Worte täuschten über seine heimliche Freude hinweg. Das bewies messerscharf, was Joseph schon immer über Typen wie Del Ray gedacht hatte, Studierte, Schickis. »Du kannst von Glück sagen, daß du noch den Revolver hast.«
»Verdammt, ich wollte das nicht! Aber sie wußten, wo ich wohnte, sie standen bei mir vor der Haustür! Und sie haben versprochen, sie würden ihr nichts tun.«
»Ja, ja. Und das glaubst du, wenn dir’n Afrikaanderbulle sowas sagt.«
»Die waren nicht von der Polizei. Die hatten mit der Polizei nicht das geringste zu tun. Aber es waren auch nicht die üblichen Kriminellen. Sie müssen die Informationen über mich von jemand ganz oben in der UNComm bekommen haben, denn sie wußten nicht nur, daß ich mit Renie gesprochen hatte, sie wußten auch, was ich für sie getan, mit wem ich sonst noch gesprochen, welche Dateien ich gecheckt hatte. Und das Ortungsgear – eines Tages komme ich zur Arbeit und stelle fest, daß irgend jemand es auf mein System installiert hat. Nein, das waren keine gewöhnlichen Knochenbrecher. Die hatten beste Verbindungen.«
»Du hast also Renie ans Messer geliefert«, wiederholte Joseph, der nicht vorhatte, sich von seinem hohen moralischen Roß ziehen zu lassen. »Wegen dir ham wir fliehen müssen.«
Del Ray hatte nicht mehr den Nerv zu widersprechen. »Mir ist es noch schlimmer ergangen. Sie haben mir erklärt, wenn ich Renie nicht finde, bringen sie meine Frau um. Und als ich sie nicht finden konnte, bin ich gekündigt worden. Dann haben sie uns das Haus über dem Kopf angezündet.«
Joseph nickte wissend. »Unser Haus hamse auch abgefackelt. Ich hab Renie grad noch rausholen können.«
Der jüngere Mann hörte gar nicht zu. »Es war irgendwie wegen dieser Martine – sie haben mich mehrmals gefragt, wieso Renie mit ihr zu tun hat, ob ich den Kontakt hergestellt hätte.« Er schüttelte den Kopf. »Sie haben mein Haus angezündet! Wenn die Hunde nicht gebellt hätten, wären Dolly und ich verbrannt. Es ging so schnell – Brandbomben, meinte die Polizei.«
Long Joseph sagte nichts, aber er war beeindruckt. Die Art Leute kriegte man sonst bloß in Netzthrillern zu sehen. Allein die Tatsache, daß sie hinter ihm her waren, erhöhte das Gefühl seiner Wichtigkeit. Er trank den Wein aus, wobei er die Flasche noch einmal kräftig
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