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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Frage?«
    Seine Schlitzaugen waren normalerweise so schmal, daß man kaum die braune Iris sehen konnte, doch mitunter gingen sie vor Überraschung oder Belustigung plötzlich weit auf – welche der beiden Reaktionen ihre zweite Frage ausgelöst hatte, konnte sie nicht sagen. »Nein, nein. Sie ist nicht unhöflich, Sam. Ich denke nur über die Antwort nach.« Er deutete auf seine Brust. »Ich für mein Teil komme aus einem kleinen Land, das Botswana heißt, aber die Menschen meines Blutes sind über das ganze südliche Afrika versprengt. Oder meinst du ursprünglich?«
    »Ich denke, ja.« Sie schloß zu ihm auf und paßte ihren Schritt seinem an. Sie wollte nicht, daß Jongleur an dem Gespräch teilhatte.
    »Das weiß niemand mit Sicherheit. In der Schule wurde mir erzählt, daß wir vor langer, langer Zeit aus dem Norden des Kontinents nach Süden wanderten, vor hunderttausend Jahren vielleicht. Aber es gibt auch andere Theorien.«
    »Kannst du deshalb ewig gehen, irgendwie? Weil du ein Buschmann bist?«
    Er lächelte. »Vermutlich. Ich wuchs in zwei Traditionen auf, und in beiden war das Leben schwer, aber die Leute von meines Vaters Seite – die nomadischen Jäger vom ganz alten Schlag – gingen und liefen manchmal tagelang auf der Spur eines Wildes. Ich bin nicht so stark, wie sie waren, glaube ich, aber ich mußte hart werden, als ich bei ihnen lebte.«
    »Waren? Willst du damit sagen, es gibt sie nicht mehr?«
    Etwas wie ein Schatten huschte an diesem schattenlosen Ort über sein braunes Gesicht. »Ich konnte sie nicht finden, als ich vor einigen Jahren noch einmal nach ihnen schauen wollte. Es waren ohnehin nur noch wenige übrig, und die Kalahari ist rauh. Es könnte sein, daß es keine Menschen mehr gibt, die nach der alten Art leben.«
    »Verdumpft! Dann bist du quasi… der letzte Buschmann.« Noch während sie es aussprach, merkte sie, was für ein schreckliches Schicksal das wäre.
    !Xabbu bemühte sich tapfer, wieder zu lächeln. »Ich sehe mich nicht so, Sam. Zum einen habe ich die ursprüngliche Lebensweise nur als Besucher kennengelernt. Ich war nur wenige Jahre bei ihnen. Aber es könnte durchaus sein, daß niemand mehr die althergebrachte Art so lernt wie ich damals – ja, das ist wohl so.« Er war eine Weile geistesabwesend. In der Stille konnte Sam hinter sich Jongleurs angestrengtes, gleichmäßiges Schnaufen hören. »Es ist nicht verwunderlich. Es ist ein Leben, das mir lieb und teuer ist, aber ich glaube nicht, daß viele meiner Meinung wären. Wenn du zu dem Stamm gehören würdest, Sam, würdest du es sehr hart finden.«
    Etwas in der Art, wie er das sagte, rührte Sam das Herz – er wirkte bedürftig, was sie bei ihm noch nie zuvor erlebt hatte. Vielleicht lag es an Renies Verschwinden. »Erzähl mir davon«, sagte sie. »Müßte ich Löwen mit dem Speer jagen oder sowas?«
    Er lachte. »Nein. Im Delta, wo die Leute meiner Mutter leben, fischen sie manchmal mit Speeren, aber in der Wüste werden große Tiere mit Pfeil und Bogen erlegt. Ich kenne niemanden, der schon einmal einen Löwen getötet hat, und wenige, die je einen gesehen haben – auch sie sterben aus. Nein, wir schießen mit Giftpfeilen und verfolgen dann das Tier, bis es am Gift gestorben ist.«
    Sie fand das ein wenig unfair, aber verkniff sich die Bemerkung. »Machen Mädchen das auch?«
    !Xabbu schüttelte den Kopf. »Nein, wenigstens nicht bei den Leuten meines Vaters. Und selbst Männer gehen nur hin und wieder auf Großwildjagd. Meistens fangen sie kleinere Tiere. Die Frauen haben andere Pflichten. Wenn du eine von meinem Stamm wärst, ein unverheiratetes Mädchen wie du, dann würdest du dich mit um die Kinder kümmern, sie beaufsichtigen, Spiele mit ihnen machen …«
    »Das klingt nicht schlecht. Was hätte ich an?« Sie sah auf ihren improvisierten Bikini herab, eine traurige Erinnerung an den toten Orlando. »Sowas wie das?«
    »Nein, nein, Sam. Die Sonne hätte dich am ersten Tag verbrannt. Du würdest einen Karoß tragen, einen Überwurf aus Antilopenfell, an dem noch der Schwanz dran ist. Und neben der Beaufsichtigung der Kinder würdest du den anderen Frauen helfen, nach Wildmelonen und Wurzelknollen und Insektenlarven zu graben, Sachen, die du, glaube ich, nicht so gern essen würdest. Aber in der Kalahari läßt man nichts verkommen. Wir nehmen unsere Bogen nicht nur zum Schießen, sondern auch um Musik damit zu machen. Und unsere Daumenharfen«, er mimte das Spielen eines kleinen, mit den Daumen gezupften

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