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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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bis ihre Stimme nur noch ein Röcheln war, sie war Dutzende von kleinen Runden gegangen, alles ohne Ergebnis. Es gab nichts, was man als Landschaft bezeichnen konnte, keinerlei Orientierungspunkte, kein gerichtetes Licht, keine anderen Geräusche als die, die sie selbst machte. Aber wenn ich hier bleibe, komme ich hier um. Oder Stephens Herz wird zuletzt versagen, und er stirbt in diesem Krankenhausbett, und dann ist es ganz egal, was aus mir wird. Da sie nur den undurchdringlichen Dunstschleier vor Augen hatte, stellte sie sich immer wieder Stephens liebes Gesicht vor, doch es war das kranke Gesicht, das vor ihr auftauchte, die toten Augen und die aschgraue Haut, das schlaffe Kinn vom Atemgerät gestützt. Er vertrocknet, schrumpft ein. Wie ein aus dem Wasser gezogener und an Land geworfener Fisch. Lieber Gott, bitte laß mich Stephen noch einmal anders sehen als so.
    Aber wenn sie nichts zuwege brachte, wozu war sie dann gut? Eine Renie im Nichts, ohne praktische Handlungsmöglichkeiten, war für sie eine unmögliche, unannehmbare Vorstellung. Aber was sollte sie tun? Sie hatte keine Hilfsmittel, nichts als das Feuerzeug, und obwohl sie mehrmals versuchte, ein Gateway zu öffnen, war und blieb es hartnäckig inaktiv.
    »Wo … ist dieser … Ort?« fragte Klement.
    Renie fluchte im stillen, dann fand sie, daß sie sich wenigstens dieses kleine Vergnügen gönnen sollte, und fluchte noch einmal laut. Sie würde mit seinen sporadischen Einwürfen leben müssen, wie es schien.
    »Weiß ich nicht. Ich weiß gar nichts. Jongleur hat ja gesagt, daß wir uns nicht im Netzwerk befinden, und das hier … das ist noch weniger im Netzwerk, nehm ich mal an.« Sie sah ihn scharf an. »Du begreifst nichts von alledem, stimmt’s?«
    »Das ist auch ein langer Name. Namen von Orten … wenn man sie sagt … sind gewöhnlich nicht so lang.«
    Sie winkte müde ab. Da war er ihr vorher lieber gewesen, schien es ihr allmählich, als er noch nichts anderes sagen konnte als »Ich bin Ricardo Klement«.
    Renie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem drängenden Problem ihrer Ortlosigkeit zu und verbrachte ungefähr eine Viertelstunde damit, im Kopf alles durchzugehen, was seit ihrer letzten gemeinsamen Rast mit !Xabbu und den anderen geschehen war, kam aber auf nichts, worauf sie eine Theorie über das Wie und Warum ihrer Trennung hätte gründen können. Das allgegenwärtige seidige Grau glich sehr der silbernen Wolkendecke, die sie von der Bergspitze aus gesehen hatten, aber das erklärte nicht, wie der Berg verschwunden war oder wo ihre Gefährten steckten. Sie war einfach eingeschlafen und dann unter diesen veränderten Umständen aufgewacht. Konnte der seltsame Traum etwas damit zu tun haben? Sie versuchte sich an die Einzelheiten zu erinnern, das tosende Chaos, die lange Finsternis, zuletzt das tröstliche Erscheinen jener hauchfeinen Wesenheiten, aber das alles kam ihr bereits vage und fern vor. Auf jeden Fall wurde dadurch nichts klarer.
    Es war ein Rätsel. Ein Rätsel wie in einem guten alten Krimi, wo keiner sich vorstellen konnte, wie der Mörder es geschafft hatte, in ein verschlossenes Zimmer hineinzukommen. Aber hier war die Frage umgekehrt, nicht Wie komme ich in ein verschlossenes Zimmer hinein?, sondern: Wie komme ich aus dem totalen Nichts hinaus … irgendwohin?
    Das einzige, was sie besaß, waren die Kleidungsfetzen, die sie sich aus Orlandos Chiton gemacht hatte, und das Feuerzeug. Aber mit dem Feuerzeug ließ sich kein Gateway mehr aufrufen, was im Augenblick das Naheliegendste gewesen wäre. Konnte es ihr noch irgendwie anders helfen?
    Wenn ich eine Zigarette hätte, könnte ich sie damit anzünden, dachte sie mürrisch.
    Plötzlich kam ihr eine Idee. Die bleiche Nebelwelt ringsumher, unnatürlich und anscheinend endlos, konnte sie der Weiße Ozean sein, von dem Paul Jonas und andere gesprochen hatten? Die Kinder des Netzwerks hatten ihn als etwas Mythisches beschrieben, ein Meer, das man überfahren mußte, um in eine Art Gelobtes Land zu kommen. Sollte das heißen, daß es auf der anderen Seite dieser Leere etwas gab? Das war ein ermutigender Gedanke. Doch selbst wenn es so war, hatte sie deswegen noch lange keine Ahnung, wie man dort hingelangte.
    Sie zog das Feuerzeug zwischen ihren Brüsten hervor und hielt es hoch. So sehr sie, !Xabbu und Martine vor dem Verlassen der Hauswelt daran herumgedoktert hatten, von seinen wahren Möglichkeiten hatten sie sehr wenig in Erfahrung gebracht – etwa wie eine Gruppe

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