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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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teuren Simulationen des Alten Mannes derart hemmungslos auszutoben, Befriedigung genug gewesen, beinahe so, als würde er dem alten Drecksack höchstpersönlich eine Abreibung verpassen, und die unbeschränkte Macht, Greuel von solchen Ausmaßen anzurichten, hatte ihren eigenen Reiz gehabt. Jetzt stieß er langsam an die Grenzen der Sache: Bald würde er seiner vollkommenen Freiheit, die Welten des Netzwerks zu durchstreifen und nach Lust und Laune mit ihnen zu verfahren, nichts mehr abgewinnen können. Ohnehin war es gar keine richtige Zerstörung: Sofern er die Simulationen nicht in ewiger Verheerung einfror oder den Code dahinter löschte (eine ganz andere, seine Triebe viel weniger befriedigende Art von Rache), erreichten sie irgendwann einfach das Ende eines Zyklus und fingen wieder von vorne an, und die ganze Vernichtung, die er angerichtet hatte, wurde dann weggewischt, als ob sie niemals geschehen wäre.
    Dread schwebte in dem riesengroßen, aber weitgehend kahlen Komplex, den er sich gebaut hatte, einer offenen Raumkomposition ganz aus glattem, weißem virtuellen Stein. Vor den Fenstern erstreckten sich der wolkenlose blaue Himmel und die endlose Buschlandschaft des australischen Outback, die er in den Netzserien seiner Kindheit gesehen, aber selbst niemals besucht hatte, die karge Weite in der Mitte seines Heimatlandes.
    Es reichte nicht aus, einfach die Macht über das Netzwerk zu haben, erschien es ihm mehr und mehr. Mit der Knute des Schmerzes – genauer gesagt, ihrer Entsprechung, denn echten Schmerz konnte es für eine künstliche Intelligenz, einerlei wie lebensähnlich, ja nicht geben – hatte er dem Betriebssystem die unumschränkte Herrschaft abtrotzen wollen und es dazu mehrmals mit seinem Dreh bearbeitet, bis es endgültig die Waffen vor ihm gestreckt hatte. Doch obwohl er die Herrschaft bekommen hatte, gab es immer noch zu viele Einschränkungen, und es ärgerte ihn, daß er zwar eine genauso große Macht über das System gewonnen hatte wie Jongleur, aber auch nicht mehr. Zum Beispiel war er nicht imstande, einen einzelnen Benutzer zu lokalisieren, dafür war das System zu komplex, zu weitgestreut. Wenn die blinde Martine sich nicht über einen offenen Kommunikationskanal gemeldet hätte, hätte er nie erfahren, daß sie noch lebte, und erst recht nicht ihren Standort erraten können. Inzwischen bedauerte er es, daß er zu dem Zeitpunkt mit Dulcy beschäftigt gewesen war – ein kurzer Blick in die Kunohara-Simwelt ergab, daß der Aufenthalt seiner früheren Reisegefährten wieder unbekannt war. Er hätte es nicht anderen Leuten überlassen dürfen, nicht einmal Jongleurs eigenen Agenten. Vor allen Dingen nicht Jongleurs eigenen Agenten. Langsam entwickelte Dread mehr Verständnis für den Ärger des Alten Mannes über unfähige Untergebene.
    Selbstsicher, großspurig, faul, tot, welch goldene Worte! Der Alte Mann hatte sich für den unangefochtenen Herrn des Netzwerks gehalten, und er hatte diesen Irrtum bereuen müssen. Dread beschloß, daß er besser aufpassen mußte, um nicht ähnliche Fehler zu begehen. Aber wer konnte ihm schon gefährlich werden?
    So schlecht sah es gar nicht aus, wollte es ihm scheinen. Wenn sonst nichts war die Aufgabe, Martine und den Rest seiner früheren Truppe ausfindig zu machen, seine erste richtige Herausforderung seit Tagen. Und Jongleur selbst war anscheinend völlig aus dem System verschwunden, sogar vom Netzwerkport seines eigenen Systems abgekoppelt. War er tot, oder war er einfach offline gegangen und wartete ab? Dread wußte, daß sein Sieg erst dann vollständig war, wenn sein einstiger Brötchengeber sich vor ihm im Staub wand. Auf den Tag freute er sich jetzt schon. Selbst die Vernichtung von Toyland, Atlanta und Rom würde milde erscheinen im Vergleich zu dem, was Dread mit Felix Jongleur vorhatte.
    Ach ja, und dieses Hurenaas von Sulaweyo. Nicht nur wanderte die virtuelle Renie irgendwo da draußen im Gralsnetzwerk herum, überdies mußten Klekker und seine Jungs ihren wirklichen Körper demnächst in der Hand haben. Er nahm sich vor, sich bald einmal nach dem Fortgang der Drakensberg-Operation zu erkundigen. Wäre das nicht nett? Dann hätte ich sie offline und online zu fassen, den Körper und den Geist. Das könnte … sehr interessant werden.
    Dread ließ Musik durch die Hallen seines eisweißen Palastes tönen, einen Kinderchoral aus seiner Sammlung. Die Sänger, unschuldig wie Honig sammelnde Bienen, riefen ihm die letzten Stunden von Toyland

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