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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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zurück, ein Gedanke, der ihm in diesem Moment ästhetisch gegen den Strich ging. Er stellte die Stimmen leiser und fühlte, wie die Entspannung ihn durchströmte.
    Gott, oder zumindest seine blutbesudelte Travestie im Universum des Gralsnetzwerks, ruhte sich kurzzeitig von seinen schweren Werken aus.
    Der Haken ist, dachte er nach einer Weile, daß ich noch nicht ohne die kleine Dulcy Anwin auskomme. Ich weiß nicht, wie man etwas Neues schafft, weiß im Grunde nicht mal, wie man im größeren Stil Sachen modifiziert. Das Betriebssystem ist wie eine Tür. Wenn ich mich dagegen lehne, geht es auf oder zu, aber die Wahlmöglichkeiten sind ziemlich beschränkt.
    Er hatte versucht, ihm normale Sprachbefehle zu erteilen, aber entweder war das System darauf nicht eingestellt, oder es gab vor, nicht zu verstehen. Auch wenn er ihm noch so viel Schmerzen zufügte, es kommunizierte trotzdem nicht mit ihm, und damit waren seine Fähigkeiten darauf reduziert, bereits bestehende Faktoren abzuwandeln – Mutationsgradienten, Simaustauschalgorithmen. Solche Einschränkungen waren frustrierend, und die Notwendigkeit, sich mit den Launen eines Netzwerks zu arrangieren, das ihm eigentlich zu Willen sein sollte wie eine billige Nutte, beleidigte ihn.
    Eines war klar: Wenn er Renie Sulaweyo und Martine Desroubins und die übrigen finden wollte, mußte er imstande sein, versierter mit dem System umzugehen. Nach dem zu schließen, was sich in der Insektenwelt abspielte, waren Jongleurs Agenten kaum zu gebrauchen. Zudem hatte Dread langsam den Eindruck, daß nichts in dieser virtuellen Welt auch nur halb so unterhaltsam sein konnte wie die realen Personen, die sich ihm widersetzt hatten, in die Hände zu bekommen. Ha, dann würde er glorreich Rache nehmen! Irgend etwas, das phantastisch erfinderisch und unendlich langsam war. Das Gehirn, das darauf gekommen war, den führenden Bürgern Roms lebendigen Leibes die Haut abzuziehen und dann daraus Heißluftballons mit bodenlosen Körben zu machen, an die geklammert ihre Angehörigen sich in die Luft erhoben – gewiß konnte ein Gehirn von einer solchen künstlerischen Phantasie sich für seine wenigen verbliebenen Feinde eine Behandlung ausdenken, die wahrhaft imposant war, wenn nicht gar … schön?
    In seinem weißen Palast schwebend glitt Dread in einen Dämmerzustand hinüber, in dem er Idealen von Schmerz und Macht nachjagte, die sich andere nicht einmal vorstellen konnten.
     
     
    > Der Fahrstuhl schien für die zehn Etagen abwärts lange zu brauchen. Paul kochte vor Wut, stand regelrecht unter Hochdruck. Als die Tür endlich aufglitt, hatte er das Gefühl, er werde in den Empfangsbereich hinausschießen wie Blut, das aus einer geplatzten Schlagader spritzt.
    Es war niemand an der Empfangstheke, was ihm nur recht war – er konnte die blasse, eckige junge Frau, die normalerweise dort saß, ohnehin nicht besonders leiden und wollte nicht, daß sie ihn wie einen Irren herumbrüllen sah. Er ging am Rand des gekrümmten Raumes entlang, gerade noch so weit Herr seiner selbst, daß er nicht über irgendeines der schicken und teuren Rostow-Modern-Möbel stolperte, und legte die Hand auf das Türfeld.
    Als er die beiden am Schreibtisch so dicht beieinander sitzen sah, daß der kleine, makellos frisierte Kopf beinahe die große, glänzende Glatze berührte, war er von seinem ersten spontanen Gedanken selbst überrascht.
    Sie kennen alle Geheimnisse. Alle verbotenen Geheimnisse.
    Er blieb in der Tür stehen, plötzlich der Ungehörigkeit seines Benehmens und seiner Machtlosigkeit bewußt, und schon kühlte sein selbstgerechter Zorn ab. Aber zu seiner Empörung kam noch etwas hinzu, nämlich die schlichte Tatsache, daß seine elende Spießerseele an die ganzen kindlichen Ideale glaubte, die er als Schüler mit sich herumgetragen hatte wie eine zerschlissene Jacke, obwohl er dadurch erwiesenermaßen mehr Freunde verprellte als gewann. Niemanden verpetzen, niemanden hintergehen – er glaubte immer noch daran. Immer ehrlich und gerecht. Dieser ganze edel-hilfreich-gute Eliteschulquatsch, der für die Jungen, die wirklich zur Elite gehörten, erledigt war, bevor sie noch die kurzen Hosen ausgewachsen hatten, aber den ein kleiner Stipendiat wie er für etwas besonders Hohes und Heiliges hielt.
    Er betrachtete die beiden schweigenden Gestalten, die den Eindringling gar nicht bemerkten und zweifellos irgendeinen drahtlosen Kontakt hatten – Paul hatte nicht einmal eine Neurokanüle, ein weiterer

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