Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
sprangen Gestalten herum, schattenhafte Körper, die einen aggressiven Drohtanz aufführten. Drei oder vier junge Männer bufften und schubsten sich, aber es sah mehr nach Schau als nach einem richtigen Kampf aus. Dulcy hatte zu viele Jahre in Manhattan gelebt, um überrascht oder betroffen zu sein, und nichts lag ihr ferner, als sich Sorgen darüber zu machen, daß sie sich verletzen könnten.
Männer. Sie sind einfach drauf programmiert, nicht wahr? Wie diese kleinen Bauroboter. Immer stur weitermachen, bis man gegen ein Hindernis rennt, und dann schieben und stoßen, bis es nachgibt – es sei denn, daß es härter zurückstößt.
Sie ging durch den Raum zurück zu dem Schrank, wo sie sich beim Warten auf Ergebnisse ihres Cräckgears in einem Anfall von gelangweilter Häuslichkeit einen Sessel hingestellt und allen Knabber- und Süßstoff sowie die sonstige Grundausstattung für eine Art Kaffeepausenecke versammelt hatte. Während draußen der Streit lautstark weiterging, kam ihr zum erstenmal in den Sinn, daß sie keine Ahnung hatte, wie Dread diese Wohnung gesichert hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er keine Vorkehrungen gegen Einbrecher oder Gewalttäter getroffen hatte, zumal in einem derart unruhigen Viertel wie diesem, aber sie wußte auch, daß es schwerlich eine der gängigeren Abschreckanlagen wie ein Alarmsystem mit gebührenpflichtiger Direktverbindung zur Polizei sein konnte. Dread war eindeutig niemand, der die Polizei rufen würde. Genausowenig erschien es ihr denkbar, daß er sich im Notfall von einem privaten Sicherheitsunternehmen retten ließ, nicht einmal, wenn er die Männer persönlich zusammengestellt hatte wie damals beim Überfall auf die Isla del Santuario. Nein, sie konnte sich partout nicht vorstellen, daß er sich von irgend jemandem retten ließ. Dread war der Typ, der immer alles allein regeln wollte.
Ja, toll, das wird mir echt was bringen, wenn hier die schweren Jungs einsteigen und er irgendwo im Traumland unterwegs ist.
Ein weiterer Schrei ließ sie zusammenzucken, ein wütender Fluch unmittelbar unter ihrem Fenster, wie es klang. Bis du ihn geweckt hast, dachte sie, kann dir schon jemand ein Messer in den Leib gerammt haben, Anwin. Sie stellte ihren Kaffee ab und ging in das Zimmer, das Dread ihr gegeben hatte, kniete sich hin und zog ihren Koffer und ihre Aktentasche unter dem Bett hervor.
Während sie die diversen Plastikteile zusammensuchte, einige den Ecken und Rädern des Koffers angeformt, andere als gewöhnliche Reiseutensilien getarnt – ein Schreibset, ein Wecker für jene exotischen Weltgegenden, wo einem mitunter der Netzzugang verwehrt wurde, ein portemonnaiegroßer Lockenstab –, dachte sie über die eigentümlich wechselhafte Beziehung zu ihrem Auftraggeber nach. Er hatte mittlerweile recht deutlich zu verstehen gegeben, daß er körperlich an ihr interessiert war, und sie mußte gestehen, daß sie ihn ihrerseits nicht uninteressant fand. Er hatte sich nach seinem letzten Aufenthalt im Netzwerk vor guter Laune schier überschlagen, und sie hatte sich zu ihrer eigenen Verwunderung von seiner Stimmung anstecken lassen und ihm euphorisch von ihren Erfolgen bei Jongleurs Privatdateien berichtet. Er hatte sie gelobt und über ihre Erregung gelacht, hatte geradezu vibriert von jener hyperaktiven Fröhlichkeit, die ihn manchmal erfaßte, und in dem Moment hätte sie ihn am liebsten auf der Stelle gehabt, kurz und hart wie in den Pornobüchern aus Papier, die ihre Mutter zeitweise im Haus hatte herumliegen lassen, als Ersatz für ein persönliches Gespräch über die langweiligen Details von Sex und Liebe mit ihrem einzigen Kind.
Doch obwohl sie in einer Art von hyperkinetischem Tanz durch den weitläufigen Raum geflitzt waren und Dread ihr beim Kaffeemachen und Duschen immer wieder Fragen zugerufen hatte, war ihr Timing schlecht gewesen: Zu dem Zeitpunkt schien er keinerlei Interesse an ihr zu haben, wenigstens sexuell, und war bei aller Freude über ihren Erfolg und trotz seiner eigenen Hochgestimmtheit nichts weiter als ihr freundlicher Mitstreiter.
Aber er war zufrieden gewesen, und das war immerhin etwas. Zum erstenmal seit ihrer Ankunft in Sydney hatte sie ihren Wert zweifelsfrei bewiesen. Nach der Dusche – die schwarzen Haare glatt und glänzend, den Bademantel bis zum harten Waschbrettbauch locker geöffnet – hatte er ihr erklärt, ihre Arbeit verschaffe ihm die letzten Waffen, die er für seinen großen Schlag noch benötige.
Sie hielt
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