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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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tatsächlich um Verträge, Berichte und andere Angaben über die unerhört komplizierten Abfallbeseitigungssysteme auf der künstlichen Insel handelte, Tausende und Abertausende verschachtelter Dateien, alle vollkommen normal und sterbenslangweilig. Frappiert und enttäuscht setzte sie sich zurück. Wie hatte sie sich dermaßen irren können? Hatte sie irgendwo am Anfang eine Naht verpaßt und dann durch das ganze Gewebe den falschen Faden verfolgt? Es würde sie noch einmal mindestens drei, vier Stunden kosten, alles neu durchzugehen und den Fehler zu finden.
    Sie wollte gerade schon den ganzen Kram verärgert schließen, als ihr plötzlich die Frage kam, wieso Jongleur ein solches Interesse an der Organisation der Müllentsorgung auf dem Konzerngelände haben sollte, daß er damit sogar sein persönliches System befrachtete. Es war sein Hauptwohnsitz, sicher, aber merkwürdig war es trotzdem. Sie prüfte nach und fand, daß es die gleiche Dateiengruppe auch auf dem Konzernsystem gab, aber das bewies gar nichts – Jongleur konnte schlicht und einfach eine eigene Kopie gewollt haben, vielleicht um einer ganz banalen Buchungsdiskrepanz nachzugehen. Andererseits kam ihr der Jongleur, von dem Dread ihr erzählt hatte, nicht wie ein Mann vor, der sich allzusehr für die alltäglichen Verwaltungsarbeiten im Konzernhauptquartier interessierte.
    Dulcy startete einen Vergleich der beiden Dateien. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern, bis das Arbeitszeichen zu blinken aufhörte.
    Zwei Dateien mit demselben Namen, sah sie mit erneut steigender Erregung. Und die J-Version ist kleiner als die Jongleursche. Bingo!
    Ein kurzes Drehen an dem digitalen Schloß, und die größere Datei war auf. Dulcys Finger klopften jetzt nicht mehr auf den Rand des Pads, sondern waren gekrümmt wie die Klauen eines schlagbereiten Raubvogels. Die Mehrinformation befand sich auf einer niedrigeren Ebene, ähnlich dem falschen Boden, den ein Schmuggler unter das Fahrgestell eines Lasters montiert. Sie gab den Öffnungsbefehl und hielt den Atem an.
    Es gab einen Jaulton wie von einem Zahnbohrer.
    Dateien und Symbole sprangen auf den Bildschirm und lösten sich auf. Anzeiger blitzten wie kleine Explosionen. Ihre Abwehr kreischte so schmerzhaft schrill Alarm, daß sie im ersten Moment nicht begriff, was los war.
    O Scheiße, ein Phage! Aber warum kann ihn mein Gear nicht stoppen?
    Sie hatte die Datei ohne Autorisierung geöffnet und einen Datenfresser in Gang gesetzt, mit dem ihr Gear anscheinend nicht fertig wurde. Nur wenige Sekunden, und er hatte das gesamte Material in der Datei vernichtet, nicht bloß die Marker gelöscht, sondern auch die Daten aus dem Speicher entfernt. Wer konnte wissen, was er dabei noch anrichten mochte – vielleicht ihr ganzes System ruinieren?
    Als jugendlicher Babysitter in einem fremden Haus hatte sie einmal einen Aschenbecher in den Papierkorb geleert und dabei dessen Inhalt in Brand gesteckt, ohne es zu merken. Als sie wieder ins Zimmer kam, kletterten die Flammen bereits die langen Vorhänge eines Panoramafensters hinauf. Das Entsetzen und das Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben, waren damals genauso gewesen. In ihrer Verzweiflung wäre sie am liebsten aufgesprungen und hätte das Pad auf den Boden geschmettert, um nur ja dieses grauenhafte Ding zu zerstören, das sie geweckt hatte.
    Da sie wußte, daß es um Sekunden ging, schaltete sie das Pad auf Sprachbefehl um und rief die Nothilfe auf, gewissermaßen die freiwillige Feuerwehr ihres Systems, da der blitzartige Angriff des Datenfressers die automatischen Regler bereits außer Kraft gesetzt hatte. Binnen kurzem war es ihr gelungen, den krebsartig wuchernden Phagen von ihren restlichen Daten abzuwehren, aber die Zerstörung der Entsorgungsdatei, die sie sich aus Jongleurs System kopiert hatte, war nicht aufzuhalten. Und trotz ihrer raschen Eingrenzung des Schadens schien der Phage bereits merkwürdige Dinge mit ihrem System angestellt zu haben: Die Kommunikationsmarker blinkten, als ob sie versucht hätte, eine Verbindung nach draußen herzustellen.
    Mit einer weiteren Minute hektischer Arbeit schaffte sie es, ein anderes, beinahe vergessenes Notfallgear zu finden, mit dem sie wenigstens den eingegrenzten Teil der Daten einfrieren konnte, aber die Zerstörung war riesig, wenn nicht total. Sie bezweifelte sehr, daß von der ursprünglichen Dateiengruppe noch etwas übrig war.
    Aber das ist bloß eine Kopie, sagte sie sich. Die Ursprungsversion ist immer noch

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