Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Zweifel mehr daran hatte, daß die Person Dread war, konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Erst als sie die Sequenz noch einmal bis ganz zum Anfang zurücklaufen ließ, um sie ein letztes Mal zu studieren, wurde ihr klar, daß sie das vorausgehende weiße Aufleuchten nicht beachtet und einfach angenommen hatte, es sei bloß eine Leerstelle, verursacht durch einen Datenfehler. Als sie das Bild anhielt, sah sie, daß es in Wirklichkeit etwas Weißes war, das kurz vor der Kamera vorbeistrich. Sie war sich zwar sicher, daß es sich bloß als ein Laborkittel herausstellen würde oder vielleicht als die stark verzerrte Hand des Filmenden beim Einstellen der Linse, aber dennoch begann sie damit zu spielen.
    Es war eine Karte, entdeckte sie, nachdem sie etliche Minuten an der Feinauflösung herumgedoktert hatte – vielleicht mit der Versuchszahl darauf oder so etwas. Der Anfang der Aufnahme war fort, man sah daher nur den Sekundenbruchteil, in dem sie wieder weggezogen wurde, aber die schwachen grauen Zeichen, die sie erkannte, waren mit Sicherheit Schrift. Entschlossen, die Schatten lesbar zu machen, ging sie mit der Bildoptimierung in die nächste Runde.
    Eine halbe Stunde später spuckte das Programm die fünfte und beste Iteration aus. Das Licht, das von einer Leuchtstoffröhre an der Decke auf die Karte fiel, war so grell, daß die Schrift darauf für die Kamera fast nicht mehr darstellbar war, aber das Gear war ursprünglich dafür gedacht, Gesichtszüge aus erdnaher Umlaufbahn erkennbar zu machen. Es hatte die Krakel tatsächlich in deutliche Buchstaben verwandelt:
     
    DR. CHAVEN – VORGANG # 12831 – WULGARU, JOHN
     
    Dulcy überkam auf einmal das Gefühl, beobachtet zu werden, nackt und verletzlich zu sein. Sie riß panisch den Kopf hoch, weil sie davon überzeugt war, daß Dread sich wieder in ihrem Rücken angeschlichen hatte, aber das Zimmer war leer, die Tür verriegelt. Sie klappte ihr Pad zu und trat leise in den Flur, um sich zu vergewissern, daß er auch bestimmt noch in seinem summenden Sarkophag lag.
    John Wulgaru, dachte sie, als sie wieder zurück war. Ihre Hände bebten. Heißt er so? Bin ich der einzige Mensch, der das weiß? Der einzige, der noch am Leben ist?
    Sie tat diese melodramatische Anwandlung als Produkt ihrer Nervosität ab. Wichtig war vor allem eines: Sie hatte es gecräckt. Wer sonst hätte das hingekriegt? Verdammt wenige.
    Auf der Gefühlsachterbahn ging es jetzt wieder nach oben. Dulcy brannte darauf, mit diesem hart erkämpften Wissen etwas anzufangen, irgend etwas. Sie rief Dreads verbotenes Zimmer auf, doch der geheime Speicher reagierte nicht auf den Namen, einerlei in welcher Kombination. Nur geringfügig enttäuscht brach sie die Verbindung ab. Selbst wenn sein wirklicher Name so gut wie völlig unbekannt war, würde Dread ihn wahrscheinlich kaum als Paßwort benutzen, zumal nicht für eine Datei, bei der man vermuten durfte, daß sie belastendes Material aus seinem Verbrecherleben enthielt. Aber es war ein erster Schritt – den Besitzer eines Systems in Erfahrung zu bringen, war die beste Voraussetzung, um es zu knacken, und sie hatte jetzt etwas Wichtiges über Dread in Erfahrung gebracht.
    Dulcy dachte eine Weile darüber nach, warum Jongleur diese Information über Dread so hochexplosiv gesichert, aber die Uschebti-Datei, bei der es dem Anschein nach um etwas viel Größeres und Bedeutenderes ging, um die Übergabe seines gesamten Besitzes, ohne ähnlichen Schutz gelassen hatte. Vielleicht weil Jongleur wußte, daß niemand außer ihm einen guten Grund haben konnte, sich die Sachen über Dread anzuschauen, nahm sie an, wohingegen die andere Datei irgendwann durch die Hände von Notaren, Anwälten, Managern und diversen anderen Dritten gehen konnte.
    Sie trommelte mit den Fingern, wollte unbedingt irgendwie weitermachen. Zumindest konnte sie schauen, ob etwas dabei herauskam, wenn sie den neu entdeckten Namen ihres Auftraggebers ins Netz eingab. Sie bezweifelte, daß viel Interessantes unter dem Namen kursierte, aber als Veteranin der Informationskriege wußte sie, daß sich aus der ungeheuren weltweiten Matrix nur schwer etwas vollkommen löschen ließ.
    Sie schickte ihr Gear auf eine verdeckte Suche nach »Wulgaru« in allen möglichen Schreibungen, dann legte sie sich hin und starrte zähneknirschend an die Decke.
     
    Wie sie vermutet hatte, erbrachte die Suche wenig außer ein paar verstreuten Hinweisen auf einen uraustralischen Mythos. Die längste und

Weitere Kostenlose Bücher