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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Geister, die auf Wandbildschirmen erschienen. Was blieb da noch übrig?
    Paul setzte sich mit zitternden Händen ans Fenster. Unten sah er eines der Hovercrafts des Konzerns an der Esplanade am Fuß des Turms anlegen. Der heitere weißblaue Anstrich des Schiffes paßte so gar nicht zu seinem derzeitigen Eindruck: daß die Fähre im Grunde genommen eine vergrößerte Version von Charons Nachen war, der seine menschliche Fracht in einen Hades übersetzte, dem Paul bereits angehörte.
    Er raffte sich auf. Der Anblick hatte ihm das Verlangen eingeflößt, woanders zu sein, ganz egal wo. Keinen Tag mehr wollte er in diesem schwarzen Monsterbau verbringen. Er mußte weg, raus hier. Vielleicht kam er dann auf vernünftige Gedanken.
    Beim Anziehen versetzte ihm die Sorge um Ava einen Stich. Wenn er einfach verschwand, und sei es nur diesen einen Vormittag, würde sie es mit der Angst zu tun bekommen. Aber ganz nach oben zu ihrem Haus wollte er nicht fahren, denn er befürchtete, daß er dann nicht mehr von ihr loskam, und so hinterließ er für sie eine Nachricht bei einer von Finneys vielen Sekretärinnen. »Herr Jonas ist heute verhindert, weil seine Mutter in England gestorben ist. Er hat sich den Tag freigenommen. Fräulein Jongleur möge bitte die Geometrieaufgaben machen und die nächsten zwei Kapitel von Emma lesen. Morgen findet der Unterricht wieder wie gewohnt statt.« Beim Ausklicken hatte er ein ähnliches Schuldgefühl wie als kleiner Junge beim Schuleschwänzen.
    Ich muß hier weg, sagte er sich. Bloß für eine Weile.
    Während er vom Fahrstuhl durch das riesige Foyer zum Ausgang ging, konnte Paul nicht verhindern, daß er sich umschaute, ob ihm jemand folgte.
    Aber ist es nicht genau das, was man nicht tun darf, wenn man den Hades verläßt? Wo kam das noch vor, in der Orpheussage? Daß man sich nicht umschauen durfte?
    Wie dem auch sein mochte, er wurde jedenfalls weder von weinenden Geistern noch von Wachmännern in dunklen Anzügen verfolgt, obwohl das weitläufige Foyer so voller Menschen war, daß er sich nicht wirklich sicher sein konnte. Das von den Marmorwänden und der kristallartigen Pyramidendecke widerhallende Stimmengewirr war wie das Rauschen des Ozeans, so als ob die Flut von Kindergesichtern, die ihn im Schlaf überschwemmt hatte, in Geräusche umgewandelt worden wäre.
    Erblieb kurz auf der Plaza vor dem Haupteingang stehen und schaute zum Turm hinauf, einem berghohen Finger aus verformtem schwarzen Glas, einer Million blitzblanker Rauchglasscheiben. Wenn dies tatsächlich das Tor zur Unterwelt war, was war er dann für ein Schwachkopf, an eine Rückkehr auch nur zu denken? Er hatte sich einen Tagesausflug vorgenommen, um Nachforschungen anzustellen, da er sich nicht traute, über die Matrix der J Corporation ins allgemeine Netz zu gehen, aber was für einen Grund gab es, überhaupt zurückzukehren? Ein mißbrauchtes Mädchen? Da bedurfte es eines Menschen mit sehr viel mehr Macht in der Welt als Paul Jonas, um sie aus diesem Käfig herauszuholen. Etwas, das als Gral bezeichnet wurde, eine Gefahr für die Kinder der Welt? Von außen konnte er bestimmt mehr ausrichten als hier unter ständiger Überwachung, vielleicht als geheimer Informant eines einflußreichen Enthüllungsjournalisten.
    Soll ich mich einfach absetzen? Einfach gehen? Mein Gott, welcher Job ist einen solchen Wahnsinn wert, eine derartige Paranoia?
     
    »Mit deiner Marke ist etwas nicht in Ordnung«, sagte die Frau. Er sah die Gangway der Fähre direkt hinter der Sicherheitsglastür der Kontrollstelle, aber die Tür ging nicht auf.
    »Was soll das heißen?«
    Die junge Frau blickte stirnrunzelnd auf die Symbole, die auf der Innenseite ihrer Goggles tanzten. »Sie ist nicht zum Verlassen der Insel freigegeben, Sir. Ich fürchte, du wirst umkehren müssen.«
    »Meine Marke ist nicht freigegeben?« Er starrte erst sie, dann wieder die nur wenige Meter entfernte Gangway an. »Dann behalte das verdammte Ding.«
    »Du wirst umkehren müssen, Sir. Es ist eine Sicherheitssperre drauf. Du kannst mit meinem Vorgesetzten sprechen.«
    Ehe ihm ein paar scharfe Bemerkungen entschlüpft waren, hatten die Wachmänner – genau die Sorte, von der er sich ihm Foyer beschattet gewähnt hatte – ihn in ein stilles Zimmer eskortiert, um dort, wie sie es ausdrückten, ein Wörtchen mit ihm zu reden.
    Es war immerhin ein kleiner Trost, daß er hinterher wieder unbegleitet aus der Abfahrtszone zum Turm zurückgehen durfte. Die Sicherheitskräfte

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