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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Plätzchen.«
    Der Boden bebte wieder, stärker, rüttelnder als vorher, als ob ein Wesen unter ihnen entdeckt hätte, daß es eingesperrt war, und sich gegen seine Fesseln aufbäumte. Die Ringe am Klettergerüst begannen langsam zu schaukeln.
    »Aber ich weiß nicht, wie ich abhauen soll!« rief sie. »Ich kann doch nichts machen!«
    »Man kann immer was machen.« Diesmal war das Lächeln traurig. »Selbst wenn es nicht ausreicht.« Er stand auf und klopfte sich die Knie seiner Hose ab. »Ich muß jetzt gehen.«
    »Sag mir, was ich machen soll!«
    »Ich weiß nichts, was du nicht auch weißt«, erklärte er, dann drehte er sich um und schritt über die Wiese davon, eine weite grüne Fläche, ungleich viel weiter als in ihrer Erinnerung. Im Nu war der schlaksige Junge so klein geworden, daß es ihr vorkam, als könnte sie ihn in eine Hand nehmen.
    »Aber ich weiß gar nichts!« rief sie ihm hinterher.
    Orlando drehte sich um. Es war dunkel geworden, weil die Sonne sich hinter den Wolken verzogen hatte, und er war undeutlich zu erkennen. »Er hat Angst«, rief er zurück. Wieder ging ein Stoß durch die Erde, so daß Sam leicht in die Höhe hüpfte, aber Orlando wankte nicht. »Er hat echt Angst. Vergiß das nicht.«
    Sam wollte hinter ihm hereilen, aber auf einmal begann die Erde sich unter ihren Füßen aufzuwölben, und sie verlor das Gleichgewicht. Einen Moment lang meinte sie, sie hätte sich wieder gefangen, könnte ihn doch noch einholen, bevor er weg war – sie war immer eine schnelle Läuferin gewesen, und Orlando war doch ein Krüppel, oder? –, da stieß ein riesiges schwarzes Ungetüm durch die zerbröckelnde Erdkruste empor wie ein Wal aus dem Meer, und Sam flog kopfüber in den klaffenden dunklen Abgrund.
     
    Das hastige Kratzen, erkannte sie schließlich, war das Geräusch ihres eigenen hechelnden Atems. Sie fühlte Erde unter den Fingern, Erde am Gesicht. Sie wollte nicht die Augen aufmachen vor lauter Angst, sich einem Wesen gegenüber zu sehen, das so groß war wie die gesamte Schöpfung.
    Erst das Schnaufen eines anderen Menschen direkt neben ihr gab ihr den Mut zu gucken.
    Sie lag auf dem Rücken unter einem Himmel, der mit seinem Violettgrau noch drückender und unheimlicher war als vorher über dem Wald. Der Boden unter ihr fühlte sich hart und tragfähig an. Sie befanden sich an einem Hang, umgeben von Erhebungen, die an den Zackenkranz des schwarzen Berges erinnerten, eine öde Landschaft ohne eine einzige Pflanze.
    Sam setzte sich hin. !Xabbu lag neben ihr auf Händen und Knien, das Gesicht an die Erde gepreßt, der Brustkasten heftig pumpend wie bei einem Herzanfall, erstickte Keuchtöne in der Kehle. Sie kroch zu ihm und legte den Arm um ihn.
    » !Xabbu , ich bin’s! Sam. Sag doch was!«
    Das Keuchen beruhigte sich ein wenig. Sie fühlte seinen kompakten Körper zittern. Schließlich faßte er sich. Er wandte ihr sein tränennasses Gesicht zu, aber schien sie im ersten Moment nicht zu erkennen.
    »Es tut mir so leid«, sagte er. »Ich habe dich im Stich gelassen. Ich bin ein Nichts.«
    »Was redest du da? Wir leben!«
    Er riß die Augen auf, schüttelte heftig den Kopf. »Sam?«
    »Ja, Sam. Wir leben! O Gott, ich hätte nicht gedacht … ich wußte nicht … doch ich wußte, ich hatte es bloß vergessen, vielleicht wegen der Schmerzen oder so. Als ich mit Orlando in dem Tempel in der Wüste war, war es genauso …« Sie merkte, daß !Xabbu sie verwirrt ansah und daß sie dummes Zeug redete. »Schon gut. Ich freu mich bloß so, daß du da bist!« Sie drückte ihn fest an sich und setzte sich dann aufrecht hin. Sie hatte immer noch die geborgte bunte Zigeunertracht an, genau wie er. »Aber wo sind wir?«
    Bevor er ihr antworten konnte, hörten sie von weiter unten am Hang einen Schrei. Sie sprangen auf und eilten den Rutsch aus dunkler, bröckelnder Erde hinunter. Hinter einer kleinen Bodenwelle fanden sie Felix Jongleur. Er lag mit fest zugepreßten Augen auf der Seite und wand sich wie eine mit Salz bestreute Schnecke.
    »Nein«, japste der alte Mann, »laßt das …! Die Vögel … die Vögel werden …!«
    !Xabbu legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. Auf die Berührung hin riß Jongleur sofort die Augen auf.
    »Sie gehört mir!« schrie er und schlug unkontrolliert in !Xabbus und Sams Richtung. »Sie gehört …« Er verstummte, und sein Gesicht erschlaffte. Einen Moment lang blickte er die beiden schutzlos mit den Augen eines gehetzten, verzweifelten Tieres an. Dann war

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