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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Freundin – sie bewegt sich.«
    »Ich weiß …«, begann Ramsey, da bemerkte er, daß der rote Punkt nicht mehr horizontal wanderte, sondern langsam nach oben stieg. »O Gott, was ist jetzt los? Was macht sie?«
    »Serviceaufzug. Sie fährt hoch.«
    »Aber ganz oben … Herrje, Sellars hat gesagt, daß da die Privatwohnungen sind. Ich muß sie aufhalten!« Da kam ihm ein Gedanke. »Kommt sie mit der Marke da oben rein?«
    Beezle reagierte mit einem Achselzucken, jedenfalls sofern ein Wesen ohne Schultern und mit zu vielen Beinen dazu imstande war. »Höchstens wenn sie was dran geändert hat. Wart, ich check mal.« Nach kurzem Schweigen sagte er: »Nö. Ist aber auch egal, weil sie mit dem Aufzug gar nicht da hinkommt. Sie muß vorher in der Wachzentrale im fünfundvierzigsten Stock aussteigen und den Aufzug wechseln. Aber die Sicherheitsleute lassen sie nie vorbei.«
    »Mist. Kannst du mich mit ihr in Kontakt bringen?«
    »Ich hab den Kram noch nicht ganz durchgefilzt, aber ich probier’s.« Ein anderes Loch im Boden öffnete sich neben Beezle. Er setzte an, darin zu verschwinden, dann hielt er inne. »Weißt du, daß die da auf der Insel ’nen kompletten Armeestützpunkt haben? Habt ihr ’nen Knall, euch mit so Leuten anzulegen?«
    »Herrje, verbinde mich einfach!« schrie Ramsey.
    Beezle machte ein paar watschelnde Schritte und tauchte in das Loch ab. Gleich darauf hallte das elektronische Cottage von lautem Gehämmer und dem ohrenbetäubenden Schrillen einer Kreissäge wider.
    »Lieber Himmel, was machst du?«
    Beezles Stimme kam hallend aus dem Loch im Boden herauf. »Was du mir gesagt hast, Boß. Kann ich jetzt gefälligst in Ruhe arbeiten?«
    Das rote Licht klomm stetig den Turm empor. Ramsey konnte nicht mehr hinschauen. Er wandte sich der rostroten Wüste zu, die eine ganze Wand einnahm. Er erkannte jetzt kleine, käferartige Gestalten im Sand, halb begraben und regungslos wie Fossilien. Er erinnerte sich dunkel, im Netz etwas über das MBC-Projekt auf dem Mars gelesen zu haben – die kleinen Roboter sollten die Arbeit eingestellt haben.
    Das wird sie lehren, Maschinen zu vertrauen, dachte er bitter. Er zuckte zusammen, als die Säge wieder loslegte, begleitet, dem Lärm nach zu urteilen, von einem Preßlufthammer, der die Wände des ElCots erzittern ließ und es schier zum Einsturz zu bringen drohte. Eine Staubwolke stieg aus dem Loch auf. Ein Drachenschädel vibrierte so lange, bis er von seinem Regal rutschte und zerbrach, und ein Stück des Kiefers blieb neben Ramseys Füßen liegen.
    Unterdessen fuhr der rote Punkt unbeirrt weiter nach oben.
     
     
    > Obwohl die Bewegung des lautlosen Aufzugs kaum zu merken war, hatte Olga ein Gefühl, als ob ein abscheulicher Riese sie in seiner Faust hätte und sie hochführte zu einem Gesicht, das sie auf keinen Fall sehen wollte. Sie wußte auf einmal genau, warum sie vom Zirkus geträumt hatte, dessen Artisten inzwischen alle tot waren, so wie auch der ganze Teil ihres Lebens tot war. Wenn sie die Leiter zu dem hohen Artistenstand hochgeklettert war, war es jedesmal genauso gewesen wie jetzt, einerlei wie oft sie es machte. Das eingespielte Hand-über-Hand war fast mechanisch erfolgt, und sie hatte an kaum etwas anderes gedacht als an die Lektionen, die ihr Vater ihr Tag für Tag eingebleut hatte, damit sie lernte, sich zu konzentrieren und auf alle Eventualitäten gefaßt zu sein.
    »Du mußt immer in deinem Bewußtsein und außerhalb deines Körpers sein, mein Liebes.« Plötzlich konnte sie ihn beinahe neben sich im Fahrstuhl stehen sehen, genauso nahe wie Jerome jetzt stand, Papa mit seinem adretten, ergrauenden Bart, mit der Narbe quer über dem Nasenrücken nach einem Bruch, die ihm sein eigener Bruder mit der Ferse beigebracht hatte, als sie beide junge Artisten gewesen waren. Es war nur eine von vielen Narben – seine großen Hände waren zerfurcht von den vielen Rissen, die er sich an Netzen und Hochseilen und Spanndrähten geholt hatte. Er prahlte oft damit, daß er an seinen freien Tagen mit dem Messerwerfer des Cirque Royale Klingenfangen spielte. Zum erstenmal hatte sie das von ihm gehört, als sie drei oder vier gewesen war, und sie hatte furchtbare Angst um ihn gehabt, bis er ihr schließlich versicherte, es sei ein Witz gewesen.
    Er roch immer nach Kiefernharz, womit er sich die Hände einrieb, damit sie in der Manege trocken blieben. Das und die Zigaretten ihrer Mama, diese widerlichen russischen Glimmstengel – selbst nach all diesen

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