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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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abgesetzt oder sich verlaufen hatte.
    !Xabbu verläuft sich nicht, sagte sie sich, und wieder überkam sie die Verzweiflung.
    Dennoch, sie konnte hier nicht einfach herumstehen und darauf warten, daß die anderen zurückkamen, auch wenn sie nicht wußte, wo sie noch schauen sollte. Sie hatte bereits den ganzen Rand des Zigeunerlagers abgelaufen und den Namen des Vermißten in die dichtgedrängten Flüchtlingsmassen gerufen, die den Halbkreis der Wagen umgaben, und nichts anderes machten Martine und die übrigen derzeit wahrscheinlich auch, aber eine sinnvollere Art, die Zeit zu nutzen, fiel ihr nicht ein. Alles war besser, als sich hier am Ende der Welt untätig die Beine in den Bauch zu stehen.
    Als sie sich umdrehte, wäre sie beinahe über das Steinmädchen gefallen.
    »Du heißt Sam, stimmt’s?« sagte die Kleine.
    Sie hätte das Kind im Augenblick zwar am liebsten ignoriert, doch sie brachte es nicht fertig. »Ja, ich bin Sam.«
    »Ich soll dir was von deinem Freund ausrichten.«
    »Von meinem Freund?« Wie elektrisiert ging sie neben dem Kind in die Hocke. »Von welchem Freund?«
    »Von dem Mann mit den Kringellocken, der kein Hemd anhat.« Das Steinmädchen blickte zweifelnd. »Ist er nicht dein Freund?«
    »Was sollst du ausrichten? Sag doch!«
    »Ich muß überlegen.« Das kleine Mädchen runzelte die lehmige Stirn. Vor Konzentration verengten sich die runden Löcher, die seine Augen darstellten. »Er hat gesagt … äh …«
    »Mach schon!«
    Das Steinmädchen warf ihr einen beleidigten Blick zu. »Ich denk ja nach! Er hat gesagt … du wärst jetzt bei Freunden und gut aufgehoben, und da könnte er weg.« Ein zufriedenes Lächeln erschien, und die Stirn glättete sich. »Ja, das hat er gesagt! Jetzt weiß ich’s wieder!«
    »Wieso weg? Wo ist er hin?« Sam faßte das kleine Mädchen am Arm. »Hat er das nicht gesagt? Hast du nicht gesehen, in welche Richtung er gegangen ist?«
    Ein Kopfschütteln war die Antwort. »Nein. Er hat auf dich gezeigt und gesagt, ich soll dir gleich Bescheid geben.« Das Steinmädchen drehte sich um und wies auf eine Stelle ein ganzes Stück weiter hinten am Rand des großen Kraters. »Da drüben war das.«
    Da fiel es Sam wie Schuppen von den Augen. »Oh, Fen-fen! Er denkt, Renie ist da unten! Er will sie unbedingt finden!« Das Steinmädchen sah sie befremdet an, doch Sam hatte keine Zeit mehr für Erklärungen.
    Sie sprintete über das leicht abschüssige Gelände des Zigeunerlagers, weg von den Wagen und den Feuern, zum Ufer hinunter.
    Ich sollte die andern dazuholen, ging es ihr durch den Kopf, Paul und Martine. Allein kann ich ihn nicht aufhalten … Doch da erblickte sie am Rand des Brunnens bereits eine schlanke Silhouette, die sie trotz des flirrenden Hintergrunds sofort erkannte. Sie wußte, daß sie keine Chance hatte, die anderen zu informieren und noch rechtzeitig zu kommen.
    » !Xabbu !« schrie sie. »Warte!«
    Falls er sie hörte, verriet er es mit keiner Regung. Er verharrte noch einen Moment am Ufer des Meeres voll flimmernder blauer, blaßgelber und silbriger Lichter, machte dann ein paar Schritte und sprang hinein. Es war kein Hechtsprung, sondern der taumelnde Plumps eines Selbstmörders, die erste unbeholfene Bewegung, die sie je bei !Xabbu gesehen hatte.
    »Nein! Neiiiin!«
    Sekunden später war sie an der Stelle, wo er gerade noch gestanden hatte. Er war nicht mehr zu sehen, nur das eigenartige gärende Licht.
    Er hat mir erzählt, er hätte große Angst vor Wasser. Und trotzdem ist er gesprungen, hier in … dieses … Ihr wurde von Kopf bis Fuß eiskalt. Es muß ihn dermaßen gegraust haben …!
    Sie wußte, wenn sie noch eine Sekunde überlegte, würde ihre Vernunft wieder die Oberhand gewinnen, sie würde sich umdrehen und mit einem Loch mitten durch die Brust zum Zigeunerlager zurückgehen. Orlando verloren, dachte sie verzweifelt. Und Renie. Jetzt nicht auch noch !Xabbu ! Sie schwankte einen Moment auf der Kante, dann stürzte sie sich ebenfalls hinein.
    Es war kein Wasser, das aufwallte und sie umfing, sondern etwas viel Merkwürdigeres, ein energiegeladener, sprühender, prickelnder Strom, der durch sie hindurchzufließen schien. Ihre Augen gingen auf wie von Fäden gezogen, doch es gab weder Tiefe noch Weite zu sehen, überhaupt nichts außer einer undenkbaren Einheit von Schwärze und blendendem Licht.
    Wie kann ich ihn finden …? fragte sie sich, aber nur eine Sekunde lang. Das schillernde Meer zog sich um sie zusammen und ließ sie mit einem

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