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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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heftig, daß er sich neben sie hockte und ihre Beine festhielt, damit sie nicht vor lauter Schlottern über den Rand in die Tiefe stürzte. Der schwarze Abgrund war das einzige, was noch völlig real aussah.
    »Ich bin’s«, antwortete er und strich ihr sanft übers Gesicht. Sie war kalt. Ihm war auch kalt. »Wir sind alle hier, aber wir müssen leise sein. Dieser Kerl, Dread, er sucht uns.«
    »Ich h-habe nicht l-losgelassen«, sagte sie. »Ich fühle … w-wo !Xabbu ist … und noch w-weiter. Ich fühle sogar, wo … der Andere ist. Ganz bis … zum Ende.« Ihr Zittern hatte nachgelassen, dafür wirkte sie jetzt entrückter.
    »Ich bin hier.«
    »Kalt. Es ist so kalt. Wie im Vakuum.«
    Er wollte ihre Hand reiben, doch sie zog sie weg. »Komisch, ich fühle deine Berührung, aber wie auf einem anderen Planeten. Laß. Laß mich denken, Paul. Es ist so schwer … dranzubleiben … festzuhalten …«
    »Hallo. Freunde«, säuselte Dreads Stimme. »Ich weiß, ihr müßt es langsam leid sein, ständig auf mich zu warten.« Der Pfad hinter ihnen war noch leer, das Licht eigenartig verzerrt. »Ich wäre schon längst zu euch gekommen, aber ich mußte vorher noch mit den Kindlein spielen. Hört mal.« Ein dünner, wimmernder Schrei hallte Paul in den Ohren und seinen Gefährten auch, denn alle zuckten zusammen und schrien auf, gleichzeitig von Entsetzen durchschossen wie von Strom.
    »Er läßt sich absichtlich Zeit«, ächzte Florimel. »Der Sadist. Wir sollen vorher noch leiden.«
    »Riecht unsere Angst, irgendwie«, meinte T4b.
    »Still!« zischte Nandi. »Wir wissen nicht, wie weit weg er ist. Vielleicht will er uns nur dazu bringen, ihm unseren Aufenthalt zu verraten.«
    »Wie schwer wird es ihm fallen, uns auf diesem Pfad zu finden?« widersprach Florimel grimmig. »Ich werde nicht vor ihm in die Knie gehen.«
    »Ich auch nicht«, erklärte Orlando. »Ist mir schnuppe, ob er Dracula oder der Wolfmann oder die böse Hexe des Westens ist – er soll auch sein Fett abkriegen, ehe … ehe es zu Ende ist.« Während der Junge das sagte, stellte sich Sam Fredericks im schwach flackernden reflektierten Licht beherzt neben ihn, obwohl sie ziemlich wacklig auf den Füßen war. Paul wurde das Herz weit von einem Gefühl, das er nicht benennen konnte. Diese armen, tapferen Kinder. Wie gibt’s das, daß sie sowas durchmachen müssen?
    »Kalt …!« schrie Martine. Erschrocken hielt Paul ihr den Mund zu. Sie schüttelte die Hand ab. Ihre nächsten Worte waren nur noch ein Murmeln. »Ich kann den Andern fühlen – aber er ist so klein! Er hat Angst! Die Kinder … sie weinen nicht mehr. Sie sind still, so still …!«
    »Es ist kalt, wo der Andere ist.« Sellars’ Stimme ließ sie alle zusammenfahren.
    »Er ist wieder da«, sagte Sam tonlos.
    »Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Cho-Cho lag jetzt wie ein unruhiger Schläfer zu Sams Füßen, und aus dem offenen Mund des Jungen kam Sellars’ völlig unpassende prononcierte Stimme. »Martine, ich werde versuchen, dich zu erreichen – mein Ende der Leitung mit deinem zu verbinden. Es wird bestimmt ein unheimliches Gefühl sein, aber bitte versuche, dich nicht gegen mich zu sträuben.«
    »Kann nicht denken. Zu kalt … tut weh …«
    »Der Andere ist in einer großen Kälte gefangen, innerlich wie äußerlich«, erläuterte Sellars mit großer Hast. »Wenn du dir das klarmachst, wirst du weniger Angst haben. Er ist kein technisches Konstrukt, wenigstens nicht von Geburt. Er war ein Kind, ein Menschenkind, das von der Gralsbruderschaft mißbraucht und zum Kern ihrer großen Unsterblichkeitsmaschine gemacht wurde.«
    Eine Woge des Hasses überspülte Paul. Der Andere, der kleine Gally, Orlando und Sam Fredericks, die kreischenden Opfer oben am Brunnenrand – so viele Unschuldige, die geopfert wurden, bloß damit ein Kerl wie Jongleur noch ein paar Jahre länger durchs Leben kriechen konnte.
    »Angst …« Martine weinte. »Er ist so klein …!«
    »Das ist er immer gewesen, wenigstens in seiner eigenen Vorstellung. Verängstigt. Mißbraucht. Im Dunkeln eingesperrt, im bildlichen wie im wörtlichen Sinne, weil sie seine nahezu unbegrenzten Fähigkeiten fürchteten. Er beeinflußte die Gehirne seiner Bewacher, und deshalb wurde er verbannt, in das grausamste, sicherste Gefängnis gesteckt, das diese Bestien sich ausdenken konnten.«
    »Gefängnis …?«
    »Ein Satellit.« Sellars sprach leise, doch auf dem Felsenpfad über dem Abgrund klangen seine Worte geradezu überlaut. »Der

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