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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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durchwehte sie wie ein Wind, und sie konnte es riechen, aber sie roch dabei auch, wie es dachte, wie es fühlte, und es war müde und traurig und wütend und außerdem ganz arg verängstigt, aber es interessierte sich nicht mehr für kleine Mädchen, und es ließ sie los.
    Sie hing in der Dunkelheit. Sie war nirgends.
    »Christabel?«
    Als sie Herrn Sellars’ Stimme hörte, seine freundliche, pusteweiche Stimme, gab es kein Halten mehr. Sie fing an zu weinen und weinte so sehr, daß sie meinte, sie würde nie mehr aufhören, nie nie mehr.
    »Ich w-will … meine Mami.« Sie brachte kaum die Worte heraus.
    »Ich weiß«, sagte er. »Es tut mir leid, ich wollte nicht, daß es so passiert.« Sie konnte ihn nicht fühlen, nicht so, wie sie das eisige Dunkel gefühlt hatte, aber sie konnte ihn hören, und in der tiefen Schwärze war das wenigstens etwas. Sie hörte zu weinen auf. Sie hatte einen Schluckauf. »Ich bin jetzt bei dir«, versicherte Herr Sellars ihr. »Ich bin bei dir, kleine Christabel. Wir müssen gehen. Ich brauche deine Hilfe.«
    »Ich hab’s nicht gewollt …!«
    »Ich weiß. Es war mein Fehler. Vielleicht sollte es so sein – vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall wird es bald vorbei sein. Komm mit.«
    »Ich will zu meiner Mami.«
    »Das weiß ich. Und du bist nicht die einzige.« Jetzt fürchtete sie sich nicht mehr ganz so sehr wie vorher, und sie hörte an seiner Stimme, wie er sich quälte. »Komm jetzt mit, Christabel. Ich möchte, daß du jemand kennenlernst. Es tut mir leid, daß es so gekommen ist, aber ich bin froh, daß du hier bist, sonst hätte ich deinen Freund allein zu dieser Begegnung schicken müssen.«
    Da hörte sie eine neue Stimme, und sie war überrascht, denn sie wußte, daß der Junge, dem die Stimme gehörte, gar nicht reden konnte, weil er auf dem Bett schlief wie ein Toter. Aber Herr Sellars schlief ja auch wie ein Toter, oder?
    Schlafe ich etwa auch so? Werden Mami und Papi da keine Angst um mich haben?
    »’ol mich raus!« schrie die Stimme. »Mach ich diese mierda nich mehr mit!«
    »Cho-Cho«, sagte sie.
    Im ersten Moment reagierte er nicht. Christabel hing in der Finsternis und fragte sich, ob es sich so anfühlte, wenn man tot war. »Tussi?« sagte er schließlich. »Bise du?«
    »Ja.« Herrn Sellars’ Atem ging ganz hart und rauh, als wäre er kurz irgendwo hingerannt und wieder zurück. »Das ist sie, Señor Izabal. Und wir werden zusammen jemanden aufsuchen. Ihr zwei sollt einem verirrten kleinen Jungen helfen. Und hinterher … und hinterher werde ich alles tun, was ich kann, um euch wieder nach Hause zu bringen.«
    »Bise voll loco«, ertönte Cho-Chos Stimme. »Mach ich nich, gar nix!«
    Doch als die Dunkelheit sich langsam aufhellte, grau wurde wie ein Morgenhimmel, aber überall gleichzeitig, unten wie oben, da fühlte Christabel, wie jemand ihre Hand nahm.
    »Bise okay, Tussi?« flüsterte Cho-Cho.
    »Ich glaub schon«, flüsterte sie zurück. »Und du?«
    »Yeah«, antwortete er. »Fürcht ich mich nich vor gar nix.«
    Sie wußte nicht, ob das stimmte, aber als das graue Licht immer heller wurde, nahm der Druck seiner Finger zu.
     
     
    > Paul und Orlando trugen Martine das kurvige Felsgesims hinab, bis sie auf die anderen stießen, die auf dem Weg stehengeblieben waren. »Weiter!« drängte Paul. »Habt ihr den Irren nicht gehört? Er kommt hinter uns her!«
    »Der Pfad ist zu Ende«, sagte Florimel. »Er ist weggebrochen. Oder geschmolzen. Was weiß ich.«
    »Wie der Berg«, murmelte Sam, die hinter Paul hergewankt kam. Sie stellte Cho-Cho auf seine eigenen Füße. »Alles weg.«
    Das war’s dann also, dachte Paul. Vorbei das ganze Treibenlassen und Weglaufen. Die Falle ist immer enger und enger geworden, und jetzt bin ich am Ende angekommen. Er schaute die anderen an, Nandi, den jungen T4b, alle mit gehetztem Blick. Ihre unecht wirkenden Gesichter zerlegten sich zusehends in schematische Flächen, und die Farben ihrer Haut und ihrer Kleidung, selbst des Gesteins ringsherum, verblaßten. Die Seitenwände sahen merkwürdig abstrakt aus, als ob ein expressionistischer Maler sie mit hastigen, dicken Pinselstrichen hingeworfen hätte.
    »Wir können immer noch kämpfen«, erklärte Orlando. Paul fand diese Behauptung dermaßen absurd, daß sie fast schon komisch war, ein trostloser Witz, für den ihre sinnlosen Tode die einzig passende Pointe waren.
    Martine erschauerte und machte Anstalten, sich aufzusetzen. »B-bist d-du das, P-Paul?« Sie zitterte so

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