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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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deine Freunde mein Leben ruiniert habt.«
    Zum zweitenmal beschuldigte Kunohara damit Paul und seine Begleiter, ihm Schaden zugefügt zu haben, aber er fühlte sich noch nicht sicher genug, um sich genauer danach zu erkundigen. »Ich kann trinken. Ich weiß nicht, ob ich mich betrinken kann, also kann ich das vielleicht auch gleich lassen.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Du hättest nicht zufällig Tee hier?«
    Diesmal war Kunoharas Lächeln beinahe freundlich zu nennen. »Vierzig oder fünfzig Sorten. Grüne Tees – die mag ich am liebsten –, aber auch schwarze, Orange Pekoe, Congou, Souchung. Oolong habe ich auch. Welchen hättest du gern?«
    »Für eine Tasse englischen Tee würde ich einen Mord begehen.«
    Kunohara zog die Stirn kraus. »Strenggenommen gibt es keinen ›englischen‹ Tee, es sei denn, sie hätten in einem unbeobachteten Moment angefangen, an den hohen tropischen Berghängen der Cotswolds welchen anzubauen. Aber ich habe Darjeeling und sogar Earl Grey.«
    »Darjeeling wäre wunderbar.«
    Paul zweifelte nicht daran, daß Kunohara den Tee genauso hätte herbeizaubern können, wie er sie in das Blasenhaus gezaubert hatte, aber sein Gastgeber war deutlich jemand, der gern seine Eigenheiten pflegte: Kunohara und sein Environment waren beide eine seltsame Mischung von naturgetreu und verfremdet. Es gab eine sandgefüllte Mulde im Fußboden, wo in einem Kohlenbecken ein altmodisches Feuer brannte, doch obwohl die Blase keinen sichtbaren Abzug hatte, war die Luft im Raum nicht verräuchert. Als Kunohara einen Topf Wasser über die kleine Flamme hängte und Paul sich neben die Feuerstelle auf eine Matte setzte, um zu warten, mußte er über den nächsten absurden Gegensatz den Kopf schütteln: erst um ein Haar von Mutanten ermordet, fünf Minuten später gemütlich darauf wartend, daß das Teewasser kochte.
    »Was sind das für … Wesen?« fragte er mit einer Kopfbewegung auf die in der Luft schwebende Assel.
    »Perverse Machwerke«, antwortete Kunohara rauh. »Ein neuer, gräßlicher Eingriff in meine Welt. Ein weiterer Grund für mich, deinen Gefährten alles Schlechte zu wünschen.«
    »Renie und die andern haben was mit diesen Monstern zu tun?«
    »Ich begegne schon seit einiger Zeit merkwürdigen Anomalien in meiner Welt, unsinnigen Mutationen, die aus dem normalen Funktionieren der Simulation nicht zu erklären sind, aber das hier ist noch etwas anderes. Schau dir das Ding an! Die scheußliche Karikatur eines Menschen. Sie sind mit voller Absicht geschaffen worden. Irgend jemand Mächtiges – zweifellos ein Mitglied der Gralsbruderschaft – hat beschlossen, mich zu bestrafen.«
    »Dich zu bestrafen? Mit Mutationen?« Paul setzte sich verwirrt zurück. Selbst wenn der Tee die gleiche aufmunternde Wirkung tat wie in der wirklichen Welt, war schwerlich zu erwarten, daß er davon einen klaren Kopf bekam. Er war erschöpft. »Ich verstehe nichts von alledem.«
    Kunohara starrte finster schweigend die Assel an.
    Dampf quoll aus dem Kessel, breitete sich in einer malerischen Wolke aus und verschwand dann, wie weggefegt von der Eiseskälte, die von Pauls Gastgeber ausging. Paul nahm die Tasse, die Kunohara einfach aus der Luft griff, und sah zu, wie er das heiße Wasser durch ein Teesieb goß. Der von dem ziehenden Tee aufsteigende Duft gab Paul zum erstenmal seit unausdenklich langer Zeit das Gefühl, daß es auch noch etwas Schönes im Leben geben konnte. »Tut mir leid«, sagte er. »Vielleicht bin ich ja begriffsstutzig, aber ich bin schrecklich müde. Das war von allen langen Tagen bisher der längste.« Er lachte und bemerkte einen Anflug von Hysterie in seiner Stimme. Er beugte den Kopf über die Tasse, um den Dampf einzuatmen. »Kannst du mir nicht einfach erzählen, was meine Freunde dir Furchtbares angetan haben?«
    »Genau das, womit ich gerechnet hatte«, fauchte Kunohara. »Eigentlich ärgere ich mich mindestens genauso über mich wie über sie. Sie haben einem haushoch überlegenen Gegner den Krieg erklärt und verloren, und jetzt müssen wir übrigen dafür bezahlen.«
    »Verloren?« Paul nahm den ersten Schluck. »Aah, köstlich.« Er pustete den Tee und nippte abermals, doch so sehr er auch grübelte, er wurde aus Kunoharas Worten nicht schlau. »Aber … aber niemand hat bis jetzt verloren, soweit ich das sehe. Höchstens die Bruderschaft. Ich denke, die meisten von ihnen werden mittlerweile tot sein.« Er stockte, weil er plötzlich befürchtete, daß er in seiner Erschöpfung

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