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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gesehen«, fuhr Kunohara schließlich fort. »Diese mutierten Isopoden waren kein zufällig auftretender Verfall der Programmierung. Sie sprechen sogar!« Er schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, daß dieser Kerl, der sich Dread nennt, das System tatsächlich seinem Willen unterworfen hat und sich jetzt mit seinem neuen Spielzeug amüsiert.«
    Bei der Vorstellung, das menschliche Ungeheuer, das Renie beschrieben hatte, könnte eine derartige Macht über das Netzwerk haben, lief es Paul eiskalt den Rücken herunter.
    »Und deine persönliche Geschichte ist genauso unbegreiflich«, setzte Kunohara abrupt hinzu. »Du warst wirklich ein Angestellter von Felix Jongleur?«
    »Daran erinnere ich mich, aber dann kommt ein Block, den ich noch nicht überwunden habe. Von da an ist alles weg, bis auf den Engel. Bis auf Ava.«
    »Jongleurs Tochter.« Kunohara runzelte die Stirn. »Aber wie kann das sein? Der Mann geht auf das Ende seines zweiten Jahrhunderts zu. Nach meinen Informationen ist sein Körper seit vielen Jahrzehnten fast gänzlich funktionsunfähig und liegt in einem Tank, wo er von Apparaten am Leben gehalten wird – viel länger, als das Mädchen, dessen Lehrer du anscheinend warst, auf der Welt sein kann. Wieso sollte er ein Kind haben wollen?«
    Paul seufzte. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich verstehe das alles nicht. Noch nicht.«
    Kunohara schlug sich mit den Händen auf die Schenkel und stand auf. »Wir werden morgen viel zu erwägen und zu bereden haben, aber ich sehe, daß du mir einschläfst. Such dir einen Platz zum Hinlegen. Falls du irgend etwas brauchst, mußt du dich nur an das Haus wenden, aber ich denke, du wirst feststellen, daß die Betten bequem sind. Ich werde die Wand vor deinem Schlafplatz abdunkeln, damit die Morgensonne dich nicht zu zeitig weckt.«
    »Danke.« Paul erhob sich schwerfällig. »Ich habe es zwar schon mal gesagt, aber ich sage es noch einmal. Du hast mir das Leben gerettet.«
    Kunohara zuckte mit den Achseln. »Vielleicht wirst du mir demnächst meines retten. Information ist das wertvollste Kapital in diesem Netzwerk. Ich habe natürlich immer eigene Informationsquellen gehabt – notgedrungen, denn dieses Netzwerk mit Jongleur und seinen Genossen zu teilen ist so, als lebte man im Florenz der Medici. Aber ich muß zugeben, daß wir jetzt an einen Punkt gekommen sind, an dem meine Kenntnisse nicht mehr zureichen.«
    Paul wankte durch den Raum zu einer Nische, in der eine Matratze, kaum mehr als eine gepolsterte Matte, ausgerollt auf dem Boden lag. »Noch eine Frage«, sagte er, während er darauf niedersank. »Warum warst du so sicher, daß wir verloren haben? Daß die Bruderschaft gesiegt hat?«
    Kunohara blieb am Eingang der Nische stehen. Sein Gesicht war wieder eine stoische Maske. »Weil Veränderungen eingetreten sind.«
    »Diese neuen Mutanten?«
    Ein Kopfschütteln. »Von denen wußte ich nichts, bis ich deine Notsituation sah. Aber kurz vorher entdeckte ich, daß für mich nunmehr dasselbe gilt wie für euch, obwohl ich einer der Gründer dieses virtuellen Universums bin.« Sein Lächeln wirkte beinahe spöttisch. »Ich kann das Netzwerk nicht mehr verlassen. Demnach kann auch ich hier sterben, wie es scheint.« Er machte eine knappe Verbeugung. »Schlaf gut.«
     
    Mitten in der Nacht schreckte Paul aus dem Schlaf auf. Er hatte wieder einmal geträumt, von einem Riesen über eine Wolkendecke gejagt zu werden, die bei jedem Schritt des Verfolgers wackelte. Mit rasendem Herzen setzte er sich hin und merkte, daß das Schwingen anhielt, wenngleich es viel schwächer war als in dem gräßlichen Verfolgungstraum. Dann erkannte er die reglosen Umrisse von Kunoharas stillem Haus und entspannte sich. Draußen regnete es riesige Tropfen, jedenfalls aus seiner Sicht. Sie schlugen schwer auf die Blase und wühlten das Wasser auf, aber Kunohara hatte anscheinend ihre Wucht gedämpft, so daß Paul nicht mehr als ein sanftes Wippen verspürte.
    Er hatte sich gerade wieder hingelegt und versuchte, die aufgewühlten Gedanken zu beruhigen, um diesmal etwas Erfreulicheres zu träumen, als eine laute und seltsam vertraute Stimme durch den Raum scholl.
    »Bist du da irgendwo? Kannst du mich hören? Renie?«
    Er sprang auf. Das Zimmer war leer – die Stimme war aus dem Nichts gekommen. Er tat ein paar Schritte und stieß mit dem Schienbein an einen niedrigen Tisch.
    »Renie, kannst du uns hören? Wir sind furchtbar in Not!«
    Es war die blinde Frau, Martine, und sie klang

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