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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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würde wahrscheinlich nie mehr einen Menschen zu Gesicht bekommen, würde nur schnarrende, mörderische Scheusale wie diese hier zur Gesellschaft haben – bis zum unvermeidlichen Ende.
    Aus dem Heulen seiner Verfolger wurde plötzlich ein scharfes Zischen, und überrascht blickte Paul sich um, weil der Ton gänzlich verändert war. Sämtliche Asseln hatten sich auf ihre hintersten Körpersegmente gestellt und zeigten mit ihren mißgestalteten Händchen hektisch fuchtelnd auf ihn. Oder auf etwas hinter ihm.
    Paul fuhr herum. Am Fuß des Baumes stand ein Mann, dessen Gewand sich mit seinem gedeckten Grauton kaum von der riesigen Fläche dunkler Rinde abhob, so daß er im ersten Augenblick wie eine Sinnestäuschung wirkte, ein zufälliger Lichteffekt, der einen Knorren in der rauhen Haut des Baumes als Gesicht erscheinen ließ. Er war nicht größer als Paul, doch erstaunlicherweise spazierte er den buckligen Grat der Wurzel hinunter, ohne sich von den anrückenden Asseln beeindrucken zu lassen.
    »Huuunngeeer!« schrien sie im Chor wie aufsässige Kinder.
    Als der Fremde näher kam, konnte Paul seine gedrungene Gestalt und seine deutlich asiatischen Züge besser erkennen, und er vermutete, daß dies der Mann war, von dem Renie und die anderen ihm erzählt hatten - Kunohara, der Erbauer der Insektenwelt.
    Der schwarzhaarige Mann warf Paul einen kurzen Blick zu, der weder Interesse noch Ablehnung verriet, und blieb dann an der Stelle stehen, wo die Wurzel mit einem scharfen Knick in dem Mulchhaufen verschwand, so daß er vor dem Asselschwarm stand wie Mose, als er vom Berg zum Volk Israel redete. Aber falls dies hier Kunoharas Volk war, dann schien es keine große Lust zu verspüren, ihm zu gehorchen.
    »Frääässsen!« schrien sie und buckelten wieder den Hang hinauf.
    Kunohara schüttelte angewidert den Kopf und hob die Hand. Im Nu kam ein heftiger Windstoß vom Himmel herab und brauste mit solcher Gewalt über den Boden am Fuß des Baumes hinweg, daß der größte Teil des Laubs und der sonstigen Reste augenblicklich weggeweht wurde. Auch die vor Wut oder Schreck schrill kreischenden Asseln wurden mitgerissen und davongetragen; einige konnten sich noch kurz an größeren Gegenständen festklammern, aber Sekunden später wurden auch diese erfaßt. Dann legte sich die Bö.
    Paul war einigermaßen sprachlos. Obwohl die nächste der Kreaturen nur wenige Schritte entfernt gewesen und wie eine Gewehrkugel fortkatapultiert worden war, hatte er nicht den geringsten Hauch gespürt.
    Von der ganzen Schar war nur eine einzige Assel übrig geblieben, die sich vor Kunoharas Füßen hilflos auf dem Boden wand. »Sie können sogar sprechen …«, sagte der Mann leise, aber er hörte sich beinahe erschüttert an. Kunohara schob seine Finger tief zwischen die Platten hinter dem Kopf des Wesens. Es gab ein Knirschen, und das Ding lag still.
    »Du hast mich gerettet«, sagte Paul. »Diese Viecher hätten mich umgebracht…«
    Der Mann beäugte ihn kurz, dann hob er den eingerollten Leichnam der mannsgroßen Assel an. Er kehrte Paul den Rücken zu und senkte den Kopf. Paul hatte den starken Eindruck, daß sein Retter vorhatte, ihn zu verlassen.
    »Warte! Du kannst nicht einfach verschwinden!«
    Der kleinere Mann hielt inne. »Ich habe dich nicht gerufen.« Sein Englisch war sehr präzise. »Genaugenommen bist du ein unbefugter Eindringling. Ich hätte dich nicht retten müssen, aber diese … Monster sind mir ein Dorn im Auge. Du kannst gern auf dem Weg wieder hinaus, auf dem du hereingekommen bist.«
    »Aber ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin.«
    »Das ist mir gleichgültig.« Er zuckte mit den Achseln und wuchtete seine tote Last hoch. »Schlimm genug, daß ich meine harmlosen Isopoden dermaßen entstellt vorfinden muß. Ich lasse mich nicht außerdem noch zum Parkwächter in meiner Heimatwelt machen.«
    »Was soll das heißen, entstellt?« Paul wollte unbedingt verhindern, daß der Mann sich aus dem Staub machte. Er fühlte, daß dieser nicht mit ihm spielte – er beabsichtigte allen Ernstes, ihn in dieser Wildnis allein zu lassen. Die Asseln waren fort, aber bei dem Gedanken, was für Greuel hier sonst noch lauern mochten, hätte Paul sich am liebsten auf seinen Retter geworfen und ihn festgehalten, sich an seine Beine geklammert wie ein verängstigtes Kleinkind. »Du bist Kunohara, nicht wahr? Das hier ist deine Simulationswelt.«
    Der Gefragte gab keine Antwort, aber der Blick erhöhter Wachsamkeit, der über sein

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