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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Puppe gegenüber einer Lehrerin gebraucht. Die übrigens allem Anschein nach eine ziemlich autoritäre Zicke ist …«
     
     
    > Kein Berg konnte so hoch sein. Das war unvorstellbar.
    »Wenn dies die wirkliche Welt wäre«, japste Renie am Mittag des vierten oder vielleicht sogar schon fünften Tages, den sie sich mühsam den Berg hinunterquälten, »dann hätte die Spitze außerhalb der Atmosphäre liegen müssen, im Weltraum. Wir hätten keine Luft zum Atmen gehabt. Wir wären augenblicklich erfroren.«
    »Dann sollten wir wohl dankbar sein«, meinte !Xabbu . Er klang nicht sehr überzeugt.
    »Kannste nullen«, grummelte Sam, »denn wenn wir die Nase in den Weltraum gesteckt hätten, dann wären wir tot und könnten uns das Rumgelatsche und diesen ganzen Fen-fen sparen.«
    Es war einer der seltenen Wortwechsel. Der trostlose Marsch mit seinen Strapazen und Gefahren animierte niemanden zum Reden. Der Pfad schraubte sich weiterhin monoton im Uhrzeigersinn den ungeheuren schwarzen Kegel hinunter, doch an Stellen, wo der Berg ihn nach und nach fast verschluckte, wurde die Trittfläche so schmal, daß sie hintereinander gehen mußten, und so tückisch, daß sie sich nur im Schleichtempo vorwärtsbewegten und die Augen ständig zwischen dem Rand des Abgrunds und dem Rücken des Vordermannes hin- und herwanderten.
    Sam war zweimal ausgerutscht und beide Male nur deshalb gerettet worden, weil sie so dicht gingen, daß jeder in unmittelbarer Reichweite von jemand anders war. Auch Jongleur war einmal beinahe abgestürzt, aber !Xabbu hatte blitzschnell reagiert und ihn am Arm gepackt, wodurch er nach hinten getaumelt war statt nach vorn. !Xabbu hatte automatisch gehandelt, ohne nachzudenken, und Jongleur hatte sich nicht bedankt. Renie fragte sich unwillkürlich, was sie tun würde, falls der Gralsherr noch einmal stolperte und sie die einzige war, die ihn retten konnte.
    Nach Jongleurs Fehltritt gewöhnten sie sich an, auf den seltener werdenden breiten Abschnitten des Weges die Positionen zu wechseln, so daß von den vieren immer jemand anders vorne ging und der oder die Betreffende mit höherer Wahrscheinlichkeit relativ frisch und wachsam war. Nur Ricardo Klement wurde von der Regelung ausgenommen und mußte hinten bleiben, wo er mit seinem ständigen selbstvergessenen Stehenbleiben und Weitergehen niemand anders gefährdete als sich selbst.
    Es war ein unbeschreiblich trübseliges Gehen. Außer den gelegentlichen Verformungen des schwarzen Gesteins, seinen Buckeln und an verlaufenes Wachs erinnernden Wülsten, gab es nichts zum Anschauen, kein Pflanzenleben, nicht einmal so etwas wie Wetter. Der Himmel, der so unheimlich zum Greifen nahe schien, war uninteressanter als eine Betonwand. Selbst die ferne Schönheit der silbrig weißen Wolkendecke unter ihnen mit ihrem Flimmern und ihrem Regenbogengefunkel verlor bald ihre Faszination, und ohnehin war es viel zu gefährlich, länger als ein paar Sekunden über den Rand hinauszugucken. Müde Füße stolperten häufig, und der Pfad war zwar monoton, aber nicht gleichmäßig eben.
    Nach der dritten unbequemen Nachtruhe in einer der schmalen Spalten am Hang – wobei »Nacht« nur die Spanne bedeutete, in der sie anhielten und schliefen, da ein unveränderliches Dämmerlicht den schwarzen Gipfel umgab – kam es auch nicht mehr zu Zornausbrüchen wie bei der ersten Rast. Felix Jongleur brachte kaum noch die Energie für die wenigen notwendigen Absprachen auf und verzichtete sogar auf Verachtungsgesten, um Kräfte zu sparen. Renie hörte nicht auf, ihn mit Furcht und Widerwillen zu betrachten, aber das immergleiche langweilige Dahinstapfen und der gelegentliche Schock eines Beinaheunfalls sorgten dafür, daß diese Gefühle zurücktraten und nur noch als dunkler, kalter Druck in ihrem Hinterkopf schlummerten. Selbst Sam überwand trotz ihres Abscheus vor Jongleur ihre Berührungsangst ein wenig. Sie sprach zwar immer noch nicht mit ihm, aber wenn sie stolperte und er vor ihr war, fing sie sich an seinem nackten Rücken ab. Beim erstenmal hatte sie sich vor Ekel gewunden, jetzt aber war es, wie fast alles andere auch, ein Teil der allgemeinen tristen Routine geworden.
     
    »Mir ist grade was klargeworden«, sagte Renie leise zu !Xabbu . Sie hatten keine Stelle gefunden, die breit genug zum Sitzen war, und so ruhten sie sich im Stehen aus, den Rücken an die Flanke des Berges gelehnt. Da keine Sonne den Stein erwärmte und keine Nachtluft ihn abkühlte, hatte er in etwa die

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