Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
aus?«
Vaughan sagte: »Anfangs war sie halbwegs erträglich – in der Theorie. Die Ärzte dachten, er würde verwirrt und unkoordiniert sein, wissen Sie, und vielleicht etwas labil und aggressiv – und natürlich als Pflegefall an den Rollstuhl gefesselt.«
»Also sind Sie umgezogen«, sagte Reacher. »Sie haben an den Rollstuhl gedacht. Sie haben ein ebenerdiges Haus gekauft und die Wohnzimmertür ausgehängt. An den Küchentisch haben Sie nicht vier, sondern nur drei Stühle gestellt, um Platz zu lassen.«
Sie nickte. »Ich wollte vorbereitet sein. Aber er ist nie aufgewacht. Die Schwellung ist nie zurückgegangen.«
»Warum nicht?«
»Machen Sie eine Faust.«
»Eine was?«
»Machen Sie eine Faust, und halten Sie sie hoch.«
Reacher tat wie ihm befohlen.
Vaughan sagte: »Okay, Ihr Unterarm ist Ihr Rückgrat und Ihre Faust die Kleinhirn genannte Verdickung am oberen Ende. Viele Tierarten müssen damit auskommen. Aber beim Menschen hat sich das Großhirn entwickelt. Stellen Sie sich vor, ich würde einen Kürbis etwas aushöhlen und über Ihre Faust stülpen. Das wäre Ihr Schädel. Stellen Sie sich vor, das Kürbisfleisch sei irgendwie mit Ihrer Haut verwachsen. So ist mir das Ganze erklärt worden. Ich könnte auf den Kürbis schlagen, oder Sie könnten ihn kräftig schütteln, ohne Schäden davonzutragen. Aber stellen Sie sich vor, Sie würden Ihr Handgelenk plötzlich sehr schnell, sehr energisch drehen. Was würde passieren?«
»Die Verbindung würde reißen«, sagte Reacher. »Das Kürbisfleisch würde nicht mehr an meiner Haut haften.«
Sie nickte erneut. »Das scheint auch in Davids Kopf passiert zu sein. Eine plötzliche starke Scherbelastung. Das ist die absolut schlimmste Verwundung. Seinem Kleinhirn fehlt nichts, das restliche Gehirn weiß nicht mal, dass es existiert. Es weiß nicht, dass es ein Problem gibt.«
»Kann die Verbindung sich regenerieren?«
»Niemals. Das ist ausgeschlossen. Das Gehirn verfügt über ungenutzte Reserven, aber Nervenzellen können sich nicht regenerieren. Er wird immer so bleiben. Er gleicht einer Echse mit Gehirnschaden und weist den IQ eines Goldfischs auf. Er kann sich nicht bewegen, ist blind und taub und kann nicht denken.«
Reacher schwieg.
Vaughan sagte: »Verwundete werden heutzutage sehr schnell versorgt. Sein Zustand war bald stabil, und binnen dreizehn Stunden befand er sich in Deutschland. In Korea oder Vietnam wäre er nicht gerettet worden, keine Frage.«
Sie trat ans Kopfende des Betts und legte ihrem Mann sehr sanft, sehr zärtlich eine Hand auf die Wange, sagte: »Wir glauben, dass auch sein Rückenmark durchtrennt ist, soweit sich das feststellen lässt. Aber das spielt eigentlich keine Rolle mehr, nicht?«
Das Beatmungsgerät zischte, die Wanduhr tickte und die IV -Schläuche gaben winzige gluckernde Laute von sich. Vaughan schwieg eine Weile nachdenklich, bevor sie sagte: »Sie rasieren sich nicht sehr oft, stimmt’s?«
»Manchmal schon«, antwortete Reacher.
»Aber Sie wissen, wie man’s macht?«
»Ich hab’s meinem Daddy abgeschaut.«
»Würden Sie David rasieren?«
»Machen die Krankenpfleger das nicht?«
»Das sollten sie, aber sie tun’s nicht. Und ich möchte, dass er anständig aussieht. Das ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann, finde ich.« Aus einem Schrankfach holte sie eine Supermarkttasche mit Toilettenartikeln: Rasiergel, eine halb aufgebrauchte Packung Einmalrasierer, Seife, ein Waschlappen. Reacher fand auf dem Korridor eine Toilette, legte den Weg mehrmals mit einem nassen Waschlappen zurück, seifte den Mann ein, spülte die Seife wieder ab und machte sein Gesicht noch mal nass. Er verteilte blaues Gel auf Kinn und Wangen, verrieb es mit den Fingerspitzen, bis es schäumte, und benutzte dann einen Rasierer. Das erwies sich als schwierig. Der völlig automatische Bewegungsablauf, wenn er sich selbst rasierte, lief bei einem anderen unbeholfen ab. Vor allem bei jemandem, der einen Sauerstoffschlauch im Mund hatte und in dessen Schädel ein großes Stück fehlte.
Während er mit dem Rasierer arbeitete, putzte Vaughan das Zimmer. In dem Schrank befand sich eine zweite Tragetasche mit Putztüchern, Reinigungsmitteln, Kehrblech und Handfeger. Sie säuberte den kleinen Raum sehr gründlich. Ihr Mann starrte weiter in die Ferne, während das Beatmungsgerät leise zischte und blubberte. Dann war Reacher fertig. Vaughan hörte eine Minute später zu arbeiten auf und trat ans Bett, um David zu begutachten.
»Gut
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