Owen Meany
Kindern aus der Front Street am Begräbnis teilnahmen; selbst meine
Großmutter bat darum, gerufen zu werden, wenn das Loch fertiggegraben war, und
meine Mutter ging – obwohl es mittlerweile recht kalt geworden war – nicht
einmal ins Haus, um sich einen Mantel zu holen. Sie trug eine dunkelgraue
Flanellhose und einen schwarzen Pullover mit V -Ausschnitt,
hielt die Arme um den Körper verschränkt und stand bald auf einem, dann auf dem
anderen Bein da, während Owen seltsame Dinge einsammelte, die Sagamore in die
Unterwelt begleiten sollten. Owen verzichtete darauf, den Football in den
Leinensack zu legen, weil Mr. Fish – während er das Grab aushob – behauptete,
Football sei trotz allem ein Spiel, das uns einmal Freude bereiten würde, wenn
wir erst »etwas älter« wären. Owen fand ein paar gut durchgekaute Tennisbälle,
Sagamores Freßnapf, seine Hundedecke für Reisen im Auto; dies alles legte er in
den Leinensack, zusammen mit einigen sehr schönen Ahornblättern – und einem
Lammknochen, den Lydia für Sagamore aufgehoben hatte (vom letzten Abendessen).
In einigen Häusern gingen die Lichter an, als Mr. Fish das Grab
ausgehoben hatte, und Owen beschloß, daß die Trauernden Kerzen in der Hand
halten sollten, die Lydia nur ungern herausrücken wollte; auf Drängen meiner
Mutter holte sie sie schließlich, und Großmutter wurde gerufen.
»ER WAR EIN GUTER HUND «, sagte Owen,
und beifälliges Gemurmel erhob sich.
»Ich werde mir nie wieder einen Hund zulegen«, sagte Mr. Fish.
»Daran werde ich Sie erinnern«, meinte meine Großmutter; es muß ihr
wie eine Ironie des Schicksals vorgekommen sein, daß ihre Rosenbüsche, nachdem
sie jahrelang von Sagamore [258] verwüstet worden
waren, nun die Nutznießer seiner Kompostierung werden würden.
Die kerzenbeleuchtete Szene muß vom Bürgersteig der Front Street aus
sehr erstaunlich ausgesehen haben; das war wohl der Grund dafür, daß sich Rev.
Lewis Merrill und seine Frau unserem Garten näherten. Gerade in dem Moment, als
wir keine Worte fanden, erschien Mr. Merrill – der schon so blaß war, als sei
es bereits Winter – im Rosengarten. Seine Frau, der die erste Grippewelle, die
der Herbst mit sich brachte, eine rote Nase beschert hatte, trug einen dicken
Mantel und wirkte bereits wie für den tiefsten Winter gerüstet. Auf dem kurzen
Spaziergang, den sie ihrer Gesundheit zuliebe unternommen hatten, waren die
Merrills auf eine religiöse Zeremonie gestoßen.
Meine fröstelnde Mutter schien ziemlich überrascht bei ihrem
Anblick.
»Mich friert, wenn ich Sie ansehe, Tabby«, sagte Mrs. Merrill, doch
Mr. Merrill schaute nervös auf alle Gesichter, als zähle er die lebenden
Anwesenden, um festzustellen, welche arme Seele in dem Leinensack ruhte.
»Vielen Dank, daß Sie gekommen sind, Herr Pastor«, sagte Mr. Fish,
der geborene Amateurschauspieler. »Vielleicht könnten Sie einige passende Worte
über den dahingeschiedenen ›besten Freund‹ eines Menschen sagen?«
Doch Mr. Merrills Gesichtszüge wirkten zugleich verständnislos und
bestürzt. Er schaute auf meine Mutter, dann auf mich; er starrte auf den
Leinensack; er sah in das Loch im Rosenbeet, als sei es sein eigenes Grab – und
kein Zufall, daß ihn der kurze Spaziergang mit seiner Frau hierher geführt
hatte.
Meine Großmutter merkte, daß ihr Pastor angespannt war und keine
Worte fand, nahm ihn beim Arm und flüsterte ihm zu: »Es ist nur ein Hund. Sagen Sie nur ein paar Sätze, für die Kinder.«
Doch Mr. Merrill fing an zu stottern; je heftiger meine Mutter
zitterte, desto heftiger zitterte er zurück, desto mehr zitterte auch [259] sein Mund, und er konnte nicht einmal die
einfachste Segnung herausbringen – er brachte nicht einmal den ersten Satz
zustande. Mr. Fish, der keine der Kirchen in der Stadt mit häufigen Besuchen
beehrte, hob den Leinensack hoch und übergab Sagamore der Unterwelt.
Owen Meany fand schließlich die passenden Worte: »›ICH BIN DIE AUFERSTEHUNG UND DAS LEBEN, SPRICHT DER HERR. WER AN
MICH GLAUBT, DER WIRD LEBEN, AUCH WENN ER STIRBT, UND WER DA LEBT UND GLAUBT AN
MICH, DER WIRD NIMMERMEHR STERBEN.‹«
Das war ein bißchen viel – für einen Hund – und Rev. Lewis Merrill,
von seinem Stottern befreit, war sprachlos.
»›… WIRD NIMMERMEHR STERBEN.‹« wiederholte Owen. Eine Windbö ließ Mutter das Haar ins Gesicht flattern, als sie
ihre Hand nach der von Owen ausstreckte.
Bei allen Ritualen, bei allen
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