Owen Meany

gegen eine
der großen Fleischfirmen Chicagos wegen Lebensmittelvergiftung abgewehrt hatte;
an verdorbenem Fleisch war eine Reihe von Leuten erkrankt, doch die Kanzlei aus
Lake Forest lenkte die Schuld von der Fleischfabrik und den Verpackern auf die
Firma, die die Lieferungen mit Tiefkühllastern ausfuhr. Auf den Rat dieses
Rechtsanwalts hin [464]  änderte White die Regelungen
für die Erteilung eines Verweises von der Schule.
    Bis dato wurde jeder Fall eines Schülers, dem der Verweis von der
Schule drohte, vor den sogenannten Exekutivausschuß gebracht; dieser Ausschuß
gab dem Lehrkörper eine Empfehlung, und die gesamte Lehrerschaft stimmte dann
ab, ob der Junge bleiben durfte oder gehen sollte. Der Anwalt aus Lake Forest
fand, so laufe die Schule im Falle eines Verweises Gefahr, eine Klage an den
Hals zu bekommen, wenn die gesamte Lehrerschaft »ohne tiefergehendes Verständnis
für den konkreten Vorfall, der dem Exekutivausschuß bekannt ist, als Jury
agiert«. Der Rechtsanwalt schlug vor, daß der Exekutivausschuß allein die
Entscheidung über einen Verweis von der Schule treffen sollte und daß die
Lehrerschaft nicht daran zu beteiligen sei. Diesem Vorschlag stimmte Direktor
White zu, und die Änderung wurde – genau wie die bezüglich des
Lateinunterrichts – während der Morgenversammlung bekanntgegeben.
    »UM DEM HYPOTHETISCHEN FALL EINER KLAGE AUS DEM WEG
ZU GEHEN«, schrieb Owen Meany, »HAT DER
DIREKTOR EINE DEMOKRATIE IN EINE OLIGARCHIE VERWANDELT – ER HAT DIE ZUKUNFT
EINES SCHÜLERS, DER PROBLEME HAT, AUS DER HAND VIELER IN DIE HAND WENIGER
GELEGT. WOLLEN WIR UNS DIESE WENIGEN EINMAL ETWAS NÄHER ANSEHEN. DER
EXEKUTIVAUSSCHUSS BESTEHT AUS DEM SCHULLEITER, DEM DEKAN, DEM
STIPENDIENVERWALTER UND VIER MITGLIEDERN DES LEHRKÖRPERS – VON DENEN NUR ZWEI
VON DER GESAMTEN LEHRERSCHAFT GEWÄHLT WERDEN; DIE ANDEREN BEIDEN WERDEN VOM
DIREKTOR BESTIMMT. DIESE KARTEN SIND DOCH WOHL GEZINKT! WER KENNT EINEN SCHÜLER
AM BESTEN? SEIN HAUSTUTOR UND SEINE LEHRER. UND DAS WAREN FRÜHER DIE LEUTE, DIE
IN DER KONFERENZ DIESEN SCHÜLER VERTEIDIGTEN – ODER ES WAREN DIE LEUTE, DIE AM
BESTEN WUSSTEN, DASS DIESER SCHÜLER KEINER VERTEIDIGUNG WÜRDIG WAR. ICH FINDE,
JEDER SCHÜLER [465]  DER DURCH DIESEN
EXEKUTIVAUSSCHUSS VON DER SCHULE VERWIESEN WIRD, SOLLTE DIE SCHULE TATSÄCHLICH
VERKLAGEN. ES GIBT DOCH KEINE BESSEREN GRÜNDE FÜR EINE KLAGE ALS FOLGENDE: DIE
LEUTE, DIE AM BESTEN DEN WERT EURES BEITRAGES ZUR SCHULE EINSCHÄTZEN KÖNNEN,
SIND JETZT NICHT MAL MEHR IN DER LAGE, ZU EURER VERTEIDIGUNG ZU SPRECHEN – UND SCHON GAR
NICHT, DAFÜR ZU STIMMEN !
    ICH WARNE EUCH: JEDER, DER VOR DIESEN
EXEKUTIVAUSSCHUSS ZITIERT WIRD, HAT VON VORNHEREIN VERLOREN! DER DIREKTOR UND
DIE BEIDEN VON IHM BESTIMMTEN LEHRER SIND GEGEN EUCH; DIE BEIDEN GEWÄHLTEN LEHRER DES
AUSSCHUSSES STIMMEN FÜR EUCH. DA LIEGT IHR SCHON MIT 3   :   2 im rückstand. und was
machen der dekan und der stipendienverwalter? sie kennen euch nicht aus dem
unterricht oder aus dem internat; sie gehören zur VERWALTUNG – WIE DER
SCHULLEITER. VIELLEICHT IST EUCH DER STIPENDIENVERWALTER GNÄDIG GESONNEN, WENN IHR EIN
STIPENDIUM KRIEGT; DANN VERLIERT IHR 4   :   3 anstatt 5   :   2. ihr verliert auf jeden
fall.
    SCHLAGT DAS WORT ›OLIGARCHIE‹ IM LEXIKON NACH, WENN
IHR NICHT WISST, WAS ICH MEINE: ›STAATSFORM, BEI DER DIE REGIERUNGSGEWALT NUR
VON EINER KLEINEN, DOMINIERENDEN GRUPPE AUSGEÜBT WIRD; HERRSCHAFT EINER KLEINEN
GRUPPE‹.«
    Doch zu der Zeit zogen andere Regierungsprobleme die Aufmerksamkeit
aller auf sich; selbst Owen wurde von unserem entscheidungsfreudigen Direktor
abgelenkt. Alle redeten von Kennedy oder Nixon; und Owen initiierte sogar eine
»Pseudo-Wahl« unter den Schülern an der Gravesend Academy – er organisierte
sie, er stellte die Wahlurne im Postamt der Schule auf, er setzte sich hinter
einen großen Tisch und hakte die Namen der Schüler, die gewählt hatten, ab. Er
erwischte ein paar Jungen, die zweimal wählen wollten, er schickte seine
»Läufer« in die [466]  Internatsgebäude zu den
Schülern, die noch nicht gewählt hatten. Zwei Tage lang verbrachte er seine
ganze Freizeit hinter diesem großen Tisch; niemand anderem übertrug er diese
Aufgabe. Die Wahlurne wurde – wenn Owen nicht da war – in einer verschlossenen
Kiste aufbewahrt, die im Büro des Stipendienverwalters stand. Da saß er nun an
seinem Tisch, mit einem Button so groß wie ein Baseball am Revers seiner
Sportjacke:
    All the way
with JFK
    Er wollte