Owen Meany
war »zu alt« für die Whites – und »zu dunkel«, wie sie
sagte, und »zu weit vom Schulgelände entfernt« und »kein geeignetes Heim für
Einladungen«, wie sie beide fanden. Offensichtlich lud Sam White gerne zu sich
ein.
»WEN WOLLEN SIE DENN EINLADEN ?« wollte
›Die Stimme‹ wissen, die den » SOZIALEN PRIORITÄTEN DER WHITES «,
wie sie es nannte, kritisch gegenüberstand. Und es war auch eine teure
Entscheidung, ein neues Schulleiterhaus zu bauen – so zentral gelegen, daß die
Baustelle auf dem Schulgelände Owen und mir das ganze Schuljahr hindurch ein
Dorn im Auge war. Es hatte Probleme mit dem Architekten gegeben – oder Mrs.
White hatte ihre Meinung zur Raumaufteilung in einigen Punkten geändert – nachdem man schon mit dem Bauen begonnen hatte; daher die Verzögerung. Es war
ein einfaches Gebäude, eine Art Schuhschachtel – »PASST NICHT
ZU DEN ALTEN HÄUSERN AUF DEM SCHULGELÄNDE «, wie Owen fand;
außerdem stand es mitten auf einer großen, wunderschönen Rasenfläche zwischen
der alten Bibliothek und dem Hauptgebäude der Academy.
»In nicht allzu ferner Zukunft wird es ohnehin eine neue Bibliothek geben«, erklärte der Direktor; er
arbeitete an einem erweiterten Bebauungsplan, der eine neue Bibliothek, zwei
neue Internatsgebäude, eine neue Mensa und – »weiter hinten« – eine neue
Turnhalle für koedukativen Unterricht vorsah. »Koedukation«, [460] sagte der Schulleiter, »gehört zur Zukunft jeder
progressiven Schule.«
›Die Stimme‹ meinte: »ES IST IRONISCH UND BEZEICHNEND,
DASS DIESER SOGENANNTE ›ERWEITERTE BEBAUUNGSPLAN‹ MIT DEM BAU EINES NEUEN
SCHULLEITERHAUSES BEGINNT. WIRD ER GENUG BETUCHTE EHEMALIGE IN DIESES HAUS
›EINLADEN‹, UM DIE SOGENANNTE ›SPENDENAKTION‹ ERFOLGREICH DURCHZUFÜHREN? WIRD
DIESES HAUS DIE KOSTEN FÜR ALLES ANDERE DECKEN – ANGEFANGEN BEI DER TURNHALLE?«
Als das neue Schulleiterhaus schließlich bezugsbereit war, wurden
Rev. Mr. Merrill und seine Familie aus einer recht engen Internatswohnung in
das alte Schulleiterhaus in der Pine Street umquartiert. Ungünstigerweise war
es von da aus recht weit zur Hurd’s Church; doch als Neuling an der Schule muß
Rev. Lewis Merrill dankbar für dieses schöne alte Haus gewesen sein. Sobald
Randy White Mr. Merrill diesen Gefallen getan hatte, traf der Schulleiter eine
weitere Entscheidung. Die tägliche Morgenandacht war immer in Hurd’s Church
abgehalten worden; es war an sich kein Gottesdienst, abgesehen vom Eingangs-
und Schlußlied – und einem Gebet, das den täglichen Ankündigungen folgte.
Normalerweise leitete nicht der Geistliche der Schule die Morgenandacht; das
tat meist der Direktor selbst. Manchmal hielt uns ein Lehrer einen kleinen
Vortrag über ein Thema aus seinem Fachgebiet, manchmal machte sich ein Schüler
für die Bildung einer neuen Arbeitsgemeinschaft stark. Gelegentlich geschah
auch etwas Aufregendes: ich kann mich an eine Fechtübung erinnern; ein anderes
Mal gab uns ein Ehemaliger – ein bekannter Zauberer – eine Sondervorstellung,
und eines der Kaninchen entwischte ihm in der Hurd’s Church und tauchte nie
wieder auf.
Mr. White traf nun die Entscheidung, daß Hurd’s Church ein zu
düsterer Ort war, um den Morgen zu beginnen; er verlegte die Versammlung ins
Hauptgebäude – in die Aula. Obwohl das Tageslicht dort viel heller hereinschien
und der Raum durch die [461] hohen Wände eine
gewisse Erhabenheit ausstrahlte, war er doch gleichzeitig auch streng – die
Porträts der ehemaligen Schulleiter und Lehrer in ihren tiefschwarzen Roben
starrten grimmig auf uns herab. Die Lehrer, die der Morgenandacht beiwohnten
(die Teilnahme war für sie nicht wie für uns obligatorisch) saßen jetzt auf der
erhöhten Bühne und blickten ebenfalls auf uns herab. Wenn die Bühne für ein Theaterstück
hergerichtet war, war der Vorhang geschlossen, und auf dem schmalen
Bühnenstreifen davor war dann nur Platz für wenige Stühle. Das war das erste,
was Owen an dieser Entscheidung kritisierte: In der Hurd’s Church hatten die
Lehrer neben den Schülern in den Bänken gesessen – und deshalb kamen sie auch
häufiger. Doch in der Aula, wenn die Bühne für eine von Dans Aufführungen
hergerichtet war, gab es nur so wenig Plätze für die Lehrer, daß sie lieber
gleich zu Hause blieben. Außerdem fand Owen: » DIE ERHÖHTE
BÜHNE UND DIE HELLIGKEIT DES TAGESLICHTES SORGEN
DAFÜR, DASS DER DIREKTOR VON EINEM ÜBERTRIEBEN HERVORGEHOBENEN STANDORT AUS ZU
UNS SPRICHT;
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