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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wir waren nicht sicher, ob er es
nicht vielleicht schon wußte. Ich glaubte, es würde Dan wehtun, wenn er erfuhr,
daß er mir als Vater nicht genügte – denn würde er meine Neugier auf meinen
biologischen Vater nicht als Hinweis interpretieren, daß er (Dan) seiner Rolle
als Adoptivvater nicht gerecht wurde?
    Und wenn Dan nichts über ›The Orange
Grove‹ und die »Lady in Red« wußte, würde ihm das dann nicht auch wehtun? Dadurch erschien die Vergangenheit meiner Mutter – ehe
sie Dan [504]  kennengelernt hatte – viel
romantischer, als ich sie mir jemals vorgestellt
hatte. Wieso sollte sich Dan Needham über ihre romantische Vergangenheit
Gedanken machen wollen?
    Owen meinte, es gäbe eine Möglichkeit, daß die Gravesend Players ein
Stück über eine Sängerin in einem Nachtclub in Miami aufführten, ohne daß Dan
unbedingt von unserer Entdeckung erfahren mußte.
    » ICH KÖNNTE ES SCHREIBEN«, schlug er vor. »ICH KÖNNTE ES DAN ALS EIN EIGENS FÜR DIE GRAVESEND PLAYERS
GESCHRIEBENES STÜCK ANDREHEN. UND DANN WÜSSTE ICH SOFORT, OB DAN DIE GESCHICHTE
SCHON KENNT ODER NICHT.«
    »Aber du kennst die Geschichte doch gar
nicht«, wandte ich ein. »Du hast doch gar keine Geschichte, du hast doch nur
den Schauplatz – und nur eine vage Vorstellung von
den Mitwirkenden.«
    »ES KANN NICHT ALLZU SCHWER SEIN, SICH EINE GUTE
GESCHICHTE AUSZUDENKEN«, meinte Owen Meany. »DEINE MUTTER HATTE GANZ OFFENSICHTLICH EIN TALENT DAFÜR, UND SIE
WAR NICHT MAL SCHRIFTSTELLERIN.«
    »Aber du bist wohl ein Schriftsteller«, entgegnete ich; Owen zuckte
mit den Schultern.
    »ALLZU SCHWER KANN ES NICHT SEIN «,
beharrte er.
    Doch ich sagte ihm, ich wolle nicht, daß er es darauf ankommen ließ
und Dan womöglich dabei verletzte; wenn Dan die Geschichte schon kannte – selbst wenn er nur den »Schauplatz« kannte – dann wäre er ganz sicher verletzt,
sagte ich ihm.
    »ICH GLAUB NICHT, DASS DU DIR WIRKLICH UM DAN SORGEN
MACHST «, meinte Owen Meany.
    »Was willst du damit sagen, Owen?« fragte ich ihn; er zuckte mit den
Schultern – manchmal glaube ich, Owen Meany hat das Schulterzucken erfunden.
    »ICH GLAUB, DU HAST ANGST DAVOR HERAUSZUKRIEGEN, WER
DEIN VATER IST«, entgegnete er.
    [505]  »Leck mich doch am
Arsch!« entgegnete ich; er zuckte wieder mit den Schultern.
    »SIEH ES DOCH MAL SO«, meinte er dann. »DU HAST EINEN HINWEIS ERHALTEN UND BRAUCHTEST DICH DAFÜR ÜBERHAUPT
NICHT ANZUSTRENGEN. GOTT HAT DIR EINEN HINWEIS GEGEBEN. JETZT KANNST DU WÄHLEN: ENTWEDER DU
BENUTZT DIESES GESCHENK GOTTES ODER DU VERSCHWENDEST ES. EIN BISSCHEN MUSST DU
DICH SCHON ANSTRENGEN.«
    »Ich glaube, du interessierst dich mehr für meinen Vater als ich«,
sagte ich ihm; er nickte. Es war Silvester 1961, gegen zwei Uhr nachmittags,
und wir saßen in Hesters schmuddeligem Wohnzimmer in Durham, New Hampshire;
dieses Wohnzimmer teilten wir immer mit Hesters Mitbewohnerinnen – zwei
Studentinnen, die Hester an Schlampigkeit fast gleichkamen, leider jedoch nicht
an Sexappeal. Die Mädchen waren nicht da; sie waren über die Weihnachtsferien
nach Hause gefahren; auch Hester war nicht da; in Hesters Gegenwart hätten Owen
und ich niemals über Mutters geheimnisumwittertes Vorleben gesprochen. Obwohl
es erst zwei Uhr nachmittags war, hatte Hester schon diverse Cola mit Rum
intus; sie lag im Schlafzimmer und schlief fest und bekam von unserer
Unterhaltung ebensowenig mit wie meine Mutter.
    »LASS UNS ZUR TURNHALLE FAHREN UND DEN SCHUSS ÜBEN«, schlug
Owen vor.
    »Hab keine Lust«, erwiderte ich.
    »MORGEN IST NEUJAHR«, rief Owen mir in
Erinnerung. »MORGEN IST DIE TURNHALLE GESCHLOSSEN.«
    Aus Hesters Schlafzimmer konnten wir – selbst durch die geschlossene
Tür – ihr Atmen hören; wenn sie getrunken hatte, war ihr Atem ein Mittelding
zwischen Schnarchen und Jammern.
    »Warum trinkt sie so viel?« wollte ich wissen.
    »HESTER IST IHRER ZEIT VORAUS«, meinte
Owen.
    »Was soll das heißen?« fragte ich ihn. »Steht uns eine Generation
von Säufern bevor?«
    [506]  »WAS UNS
BEVORSTEHT, IST EINE GENERATION VON MENSCHEN, DIE WÜTEND SIND«, sagte Owen. »UND WAHRSCHEINLICH ZWEI GENERATIONEN, DENEN ALLES
SCHEISSEGAL IST.«
    »Woher willst du das wissen?« fragte ich ihn.
    »ICH WEISS NICHT, WOHER ICH ES WEISS«, gab
Owen Meany zurück. »ICH WEISS NUR, DASS ICH ES WEISS.«
    Toronto, 9.   Juni 1987. Nach einem Wochenende mit herrlichem
Wetter, sonnig und mit blauem Himmel und zugleich angenehm kühl wie im Herbst,
erlitt ich einen Rückfall

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