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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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eines anderen
Präsidenten, oder vielleicht auch die eines Vizepräsidenten, hielt es für eine Schande, daß die ganze Nation der »Kunst« so wenig
Aufmerksamkeit widmete; ich weiß nicht mehr, was sie dagegen tun wollte.
    Doch es überrascht mich nicht, daß der Präsident von den Anhörungen
vor dem Kongreß »nicht betroffen« ist; er fühlte sich ebensowenig betroffen von
der Meinung des Parlaments, was er tun dürfe und was nicht. Ich bezweifle auch,
daß er von den Anhörungen in ihrem weiteren Verlauf irgendwie »betroffen« sein
wird.
    [509]  Wen interessiert es schon, ob – und wie genau – er wußte, daß aus geheimen
Waffenverkäufen an den Iran stammende Gelder zur Unterstützung der Rebellen in
Nicaragua verwendet wurden? Ich glaube, den meisten Amerikanern ist das völlig
gleichgültig.
    Die meisten Amerikaner langweilten die Berichte aus Vietnam nur noch,
ehe die amerikanischen Truppen aus Vietnam abgezogen wurden; Watergate und die
Frage, was Nixon getan hatte und was nicht, begannen die meisten Amerikaner zu
langweilen – noch ehe die Beweiserhebung abgeschlossen war. Auch Nicaragua
langweilt die Amerikaner bereits; bis die Anhörungen zur Iran-Contra-Affäre
abgeschlossen sind, werden die Amerikaner gar nicht mehr wissen (und auch gar
nicht mehr wissen wollen), was sie dazu meinen – außer daß es ihnen bereits zum
Hals heraushängt. Und nach einer Weile wird ihnen auch der Krieg im persischen
Golf zum Hals heraushängen. Vom Iran haben sie ohnehin bereits die Schnauze
voll.
    Diese Erscheinung ist mir so vertraut wie die Tatsache, daß Hester
sich an Silvester übergab. Es war an Silvester 1963; Hester reiherte in den
Rosengarten, Owen und ich sahen fern. 16   300 amerikanische Soldaten waren zu
diesem Zeitpunkt in Vietnam. An Silvester 1964 waren es 23   000; und Hester
kotzte sich wieder die Seele aus dem Leib. Ich glaube, in diesem Jahr fing es
schon Anfang Januar an zu tauen; in diesem Jahr muß Hester im Regen gereihert
haben, aber vielleicht war das mit dem frühen Tauwetter auch an Silvester 1965,
als bereits 184   300 US -Soldaten in Vietnam waren. Hester
übergab sich ohne Unterlaß. Sie war eine entschiedene Gegnerin des
Vietnamkrieges, eine radikale Gegnerin. Hester war
eine so wilde Kriegsgegnerin, daß Owen immer sagte, er sehe nur eine
Möglichkeit, alle Amerikaner aus Vietnam rauszuholen:
    »WIR SOLLTEN STATT DESSEN HESTER HINSCHICKEN«, meinte
er. »HESTER SOLLTE SICH DURCH NORDVIETNAM DURCHSAUFEN«, empfahl
    Owen. »HESTER SOLLTEN WIR NACH HANOI [510]  SCHICKEN« , erklärte er mir. »ICH HAB ’NE TOLLE IDEE, HESTER«, sagte er dann, an
sie gewandt. »WARUM GEHST DU NICHT DA RÜBER UND KOTZT HANOI
VOLL?«
    An Silvester 1966 waren 385   000 Angehörige der US -Army in Vietnam; 6 644 waren bereits gefallen.
Hester, Owen und ich verbrachten diesen Silvesterabend nicht gemeinsam. Ich saß
in unserem Haus in der Front Street allein vor dem Fernseher. Irgendwo, da war
ich ganz sicher, würde Hester sich übergeben; doch ich wußte nicht, wo. Genau
ein Jahr später befanden sich 485   600 Amerikaner in Vietnam und 16   021 waren dort
gefallen. Ich saß wieder in der Front Street allein vor dem Fernseher. Ich
hatte ein bißchen zuviel getrunken; ich versuchte mich daran zu erinnern, wann
Großmutter einen Farbfernseher gekauft hatte, doch es gelang mir nicht. Ich
hatte soviel getrunken, daß mich die Übelkeit in den
Rosengarten trieb; dort war es so kalt, daß ich für Hester hoffte, sie möge
sich dieses Jahr in einer wärmeren Gegend übergeben.
    Owen hielt sich zu dieser Zeit tatsächlich in einer wärmeren Gegend
auf.
    Ich weiß nicht mehr, wo und wie ich den Silvesterabend 1968
verbracht habe. Jedenfalls waren da 536   100 amerikanische Soldaten in Vietnam;
das waren immer noch 10   000 weniger als die später erreichte Höchstzahl. Erst
30   610 Amerikaner waren gefallen, das waren noch etwa 16   000 weniger, als
insgesamt dort ihr Leben lassen sollten. Wo immer ich an Silvester 1968 auch
gewesen bin, mit Sicherheit habe ich mich betrunken und übergeben; wo immer
auch Hester gewesen sein mag, mit Sicherheit hat auch sie sich betrunken und
übergeben.
    Wie ich schon gesagt habe, zeigte Owen mir nicht, was er in sein
Tagebuch schrieb; viel später erst – als alles vorbei war, oder zumindest fast
alles – sah ich, was er hineingeschrieben hatte. Es gibt da einen Eintrag, den
ich gerne gelesen hätte, als er ihn schrieb; er [511]  hat es recht früh geschrieben,

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