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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Schüler
wieder an die Gravesend Academy und an alle Schulen dieses Landes zurückkehrten –, schaffte Owen Meany in der Turnhalle der Gravesend Academy den Dunking unter
drei Sekunden.
    Ich dachte, der unterbelichtete Hausmeister habe die Spieluhr
vielleicht etwas zu spät eingeschaltet; doch Owen bestand darauf, daß wir den
Ball in Rekordzeit gestopft hatten – er sagte, die Uhr sei hundertprozentig
richtig eingestellt gewesen, der Erfolg sei amtlich.
    »ICH KONNTE DEN UNTERSCHIED SPÜREN – IN DER LUFT«, sagte
er aufgeregt. »ALLES LIEF EIN BISSCHEN SCHNELLER, EIN BISSCHEN
SPONTANER.«
    »Und jetzt wirst du mir sicher erzählen, unter zwei Sekunden ist auch ›machbar‹«, meinte ich.
    [623]  Er dribbelte mit dem Ball – verrückt, völlig aufgedreht, wie in einem Zeitrafferfilm über die Harlem
Globetrotters. Ich glaubte nicht, daß er mich überhaupt gehört hatte.
    »Du meinst sicher, unter zwei Sekunden ist
auch machbar!« rief ich ihm zu.
    Er hörte auf zu dribbeln. »MACH DICH
DOCH NICHT LÄCHERLICH«, entgegnete er. »DREI SEKUNDEN
IST SCHNELL GENUG.«
    Ich war erstaunt. »Ich dachte, es ginge darum, so schnell wie
möglich zu sein. Wir können uns immer noch steigern.«
    »ES GEHT DARUM, SCHNELL GENUG ZU SEIN«, sagte
er. »ES GEHT JETZT DARUM, OB WIR ES JEDES MAL UNTER DREI
SEKUNDEN SCHAFFEN.«
    Und so übten wir weiter. Wenn die Turnhalle der Gravesend Academy
besetzt war, gingen wir auf den Schulhof von St.   Michael’s. Dort stoppte
niemand unsere Zeit – dort gab es nichts, was der Spielzeituhr in der Turnhalle
gleichkam, und Hester hatte keine Lust, sich an unserer Übung zu beteiligen;
sie war kein Ersatz für den unterbelichteten Hausmeister. Und der rostige Korb
war etwas verbogen, und das Netz war schon lange weg – und der geteerte
Schulhof war so brüchig, daß wir nicht einmal mit dem Ball dribbeln konnten;
doch wir konnten immerhin dort üben. Owen sagte, er könne es SPÜREN, wenn wir den Schuß in weniger als drei
Sekunden geschafft hatten. Und wenn uns dort auch kein unterbelichteter
Hausmeister anfeuerte, bemerkten uns doch gelegentlich die Nonnen in der
Schuhschachtel am Ende des Schulhofes; manchmal winkten sie uns sogar zu, und
Owen Meany winkte zurück – obwohl er meinte, beim Anblick von Nonnen laufe es
ihm noch immer kalt den Rücken runter. Und immer wachte Maria Magdalena über
uns; wir konnten ihre stille Ermunterung spüren. Wenn es schneite, wischte Owen
sie sauber. In jenem Herbst schneite es früh – schon vor Thanksgiving. Ich
erinnere mich daran, daß ich beim Üben meine Skimütze und die Handschuhe
anhatte; Owen hingegen trug nie Handschuhe. Und an den [624]  Nachmittagen,
wenn es schon früh dunkel wurde, gingen im Haus der Nonnen die Lichter an, ehe
wir mit dem Üben aufhörten. Dann wurde Maria Magdalena noch eine Spur grauer
und verschwand fast völlig im Schatten.
    Einmal, als es beinahe schon zu dunkel war, um den Korb zu erkennen,
nahm ich sie kaum noch wahr – dort am Rande der völligen Dunkelheit. Ich
stellte mir vor, sie sei dem Engel ähnlich, den Owen am Bett meiner Mutter
gesehen haben wollte. Ich sagte es ihm, und er schaute auf Maria Magdalena; er
hauchte in seine kalten, unbehandschuhten Finger und starrte sie durchdringend
an.
    »NEIN, EIGENTLICH GIBT ES KEINE ÄHNLICHKEIT« , sagte er. »DER ENGEL
     HATTE ZU TUN – ER WAR STÄNDIG IN BEWEGUNG. VOR ALLEM DIE HÄNDE – ER STRECKTE SIE NICHT EINFACH RUHIG NACH VORNE.«
    Ich hörte zum ersten Mal, daß sich der Engel bewegt hatte – daß er
einen geschäftigen Engel gesehen zu haben glaubte.
    »Du hast nie gesagt, daß er sich bewegt hat«, meinte ich.
    »ABER ER HAT SICH BEWEGT«, gab Owen
Meany zurück. »DESWEGEN HAB ICH AUCH KEINEN ZWEIFEL GEHABT. ER
KONNTE NICHT DIE SCHNEIDERPUPPE GEWESEN SEIN, WEIL ER SICH BEWEGT HAT«, erklärte
er. »UND IN ALL DEN JAHREN, SEIT ICH DIE
    PUPPE HABE, HAT DIE SICH NIE BEWEGT.«
    Hat Owen, so überlegte ich, überhaupt schon jemals ZWEIFEL gehabt? Und wie oft hatte er auf die
Schneiderpuppe meiner Mutter gestarrt? Wahrscheinlich hat er darauf gewartet, daß sie sich bewegt, dachte ich.
    Als es so dunkel auf dem Schulhof von St.   Michael’s war, daß wir den
Korb gar nicht mehr erkennen konnten, konnten wir Maria Magdalena ebenfalls
nicht mehr sehen. Owen übte am liebsten so lange, bis wir Maria Magdalena in
der Dunkelheit nicht mehr ausmachen konnten. Dann standen wir beide unter dem
Korb, und er fragte mich: » KANNST DU SIE SEHEN?«
    »Jetzt

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