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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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denn davon?« fragte sie
mich.
    »Ich weiß nur, daß er einen Traum hat – und daß der ihn beunruhigt«,
meinte ich.
    »Ich weiß, daß er mich beunruhigt«, meinte
sie. »Der Traum weckt mich auf – wenn Owen ihn hat.
Und ich mag ihn gar nicht ansehen, wenn er diesen Traum hat oder wenn er vorbei
ist. Frag mich nicht, wovon er da träumt«, sagte sie.
»Ich sag dir eins: Es ist besser für dich, wenn du es nicht weißt.«
    Und gelegentlich sah ich den tomatenroten Kleintransporter bei St.
Michael’s – nicht vor der Schule, sondern vor dem Pfarrhaus der katholischen Kirche ! Er sprach wohl mit Father Findley;
vielleicht weil Kennedy Katholik gewesen war, vielleicht, weil Owen dazu
verpflichtet worden war, in Kontakt mit Father Findley zu bleiben – eine Art
Wiedergutmachung für den Schaden, den er der katholischen Kirche durch die
Verstümmelung der Maria Magdalena zugefügt hatte.
    »Wie läuft’s mit Father Findley?« fragte ich ihn einmal.
    »ICH GLAUB, ER MEINT ES GUT«, sagte
Owen vorsichtig. »ABER DIESEN FUNDAMENTALEN GLAUBENSSPRUNG, DEN KANN
IHM SEINE GANZE AUSBILDUNG, DER GANZE KATHOLISCHE HINTERGRUND, NICHT ERLAUBEN.
ICH GLAUBE NICHT, DASS ER JEMALS VERSTEHEN WIRD, WELCHES AUSMASS … DIESE
EMPÖRENDE SCHANDE…« Dann brach er ab.
    [616]  »Ja?« hakte ich nach. »Du hast
gesagt… ›diese empörende Schande‹… das hat doch deine Eltern betroffen, oder?«
    »FATHER FINDLEY KANN EINFACH NICHT VERSTEHEN, WIE
SEHR SIE LEIDEN MUSSTEN«, meinte Owen Meany.
    »Ah«, sagte ich, »verstehe.« Natürlich meinte ich das nicht ernst!
Doch entweder entging ihm meine Ironie, oder Owen Meany hatte nicht die
Absicht, mir diesen Punkt verständlicher zu machen.
    »Aber du magst Father Findley?« fragte ich
ihn. »Ich meine, irgendwie magst du ihn doch… ›er meint es gut‹, hast du eben
gesagt. Du unterhältst dich doch gerne mit ihm – oder?«
    »ES HAT SICH HERAUSGESTELLT, DASS ES UNMÖGLICH IST,
MARIA MAGDALENA WIEDER GENAUSO HINZUBEKOMMEN, WIE SIE WAR – ICH REDE VON DER
STATUE«, antwortete er. »MEIN VATER
KENNT EINE FIRMA, DIE HEILIGENSTATUEN HERSTELLT UND ANDERE HEILIGE FIGUREN – ICH MEINE AUS GRANIT. ABER DIE PREISE SIND WAHNSINN. FATHER FINDLEY HAT SEHR
VIEL GEDULD. ICH WERDE IHM GUTEN GRANIT BESORGEN – UND JEMANDEN, DER IHM SO
EINE SKULPTUR ETWAS BILLIGER MACHT, UND AUCH EIN BISSCHEN PERSÖNLICHER… WEISST
DU, NICHT IMMER NUR DIESE FLEHENDEN GESTEN, DAMIT DIE HEILIGEN NICHT IMMER WIE
BETTLER AUSSEHEN. ICH HAB FATHER FINDLEY GESAGT, DASS ICH EINEN VIEL BESSEREN
NEUEN SOCKEL MACHEN KANN, UND ICH HAB AUCH VERSUCHT, IHM DIESEN BLÖDSINNIGEN TORBOGEN
AUSZUREDEN – WENN SIE NICHT AUSSIEHT WIE EINE TORHÜTERIN IM TOR, VIELLEICHT
BOMBARDIEREN DIE KINDER SIE DANN NICHT MEHR SO HEFTIG. DU WEISST JA, WAS ICH
MEINE.«
    »Das ist doch schon fast zwei Jahre her!« sagte ich. »Ich wußte gar
nicht, daß du dich immer noch um einen Ersatz für
Maria Magdalena bemühst – ich wußte gar nicht, daß du dich so dafür einsetzt!«
    »NA JA, EINER MUSS SICH JA DRUM KÜMMERN«, meinte
    er. [617]  »FATHER FINDLEY
HAT MIR EINEN GEFALLEN GETAN – UND ES WÜRDE MIR NICHT PASSEN, WENN DIESE GESCHÄFTEMACHER
IHN ÜBERS OHR HAUEN. JEMAND BRAUCHT DRINGEND EINE STATUE, UND WAS MACHEN SIE?
ENTWEDER LASSEN SIE EINEN DAFÜR BLUTEN, ODER SIE LASSEN EINEN EWIG WARTEN – JEDENFALLS HABEN SIE EINEN BEIM WICKEL. UND WER KANN SICH SCHON MARMOR LEISTEN? ICH VERSUCHE NUR, IHM
AUCH EINEN GEFALLEN ZU TUN.«
    Ob er Father Findley wohl auch von seinem Traum erzählt? überlegte
ich. Es störte mich, daß er zu jemandem ging, den ich nicht einmal kannte – und
vielleicht mit dieser Person über Dinge redete, die er mit mir nicht besprechen
wollte. Ich glaube, das störte mich auch an Hester – und selbst bei Rev. Lewis
Merrill begann ich mich zu ärgern. Ich traf ihn nicht sehr häufig – obgleich er
ein regelmäßiger Zuschauer bei den Proben und Aufführungen der Gravesend
Players war –, doch wann immer ich ihn traf, sah er mich an, als wüßte er etwas
über mich (als hätte Owen mit ihm über mich gesprochen, als spielte ich eine Rolle in Owens
verdammtem Traum, so kam es mir jedenfalls vor).
    Meiner Meinung nach war 1964 kein sehr aufregendes Jahr. General
Shoup wurde durch General Greene ersetzt; Owen erzählte mir jede Menge
militärische Neuigkeiten – als guter ROTC -Student war er stolz darauf, über
derlei Dinge Bescheid zu wissen. Präsident Johnson ordnete den Abzug aller
amerikanischen Zivilisten aus

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