Owen Meany
überzeugen, daß er seine Größe mehr als kompensieren konnte; Owen
verbrachte viel Zeit damit, sich nach dem Unterricht noch mit dem alten
Haudegen zu unterhalten – Owen wollte der beste Absolvent seiner ROTC -Einheit
werden. Mit einem ausgezeichneten Abschluß, so rechnete er sich aus, würde er
Feuerleitoffizier werden – Infanterie, Panzertruppe oder Artillerie.
»Ich versteh nicht, warum du unbedingt zu einer Kampftruppe willst«,
sagte ich zu ihm.
»WENN ES EINEN KRIEG GIBT UND ICH BIN IN DER ARMEE,
DANN WILL ICH AUCH IN DIESEN KRIEG GEHEN«, gab er zurück. »ICH WILL DEN KRIEG NICHT AM SCHREIBTISCH VERBRINGEN.
SIEH ES DOCH MAL SO: WIR SIND EINER MEINUNG, DASS HARRY HOYT EIN IDIOT IST. WER
WIRD DIE HARRY HOYTS DAVON ABHALTEN, SICH DAS GEHIRN AUS DEM SCHÄDEL PUSTEN ZU
LASSEN?«
»Aha, du willst also ein Held werden!«
meinte ich bissig. »Wenn du nur ein bißchen schlauer wärst als Harry Hoyt, dann
würdest du den Krieg an einem Schreibtisch verbringen wollen !«
Ich begann, den Colonel hoch zu schätzen, der meinte, Owen sei zu
klein für eine Kampftruppe. Sein Name war Eiger, und einmal versuchte ich, mit
ihm zu reden; ich glaubte, Owen damit einen Gefallen zu tun.
»Colonel Eiger, Sir«, sagte ich zu ihm. Trotz der Leberflecken auf
dem Handrücken und der sonnenverbrannten Hautfalte, die etwas über seinen
engen, braunen Kragen hing, sah er aus, als könne er auf Kommando etwa
fünfundsiebzig Liegestütze machen. »Ich weiß, daß Sie Owen Meany kennen, Sir«,
sagte ich zu ihm; er antwortete nicht – er wartete darauf, daß ich fortfuhr,
und kaute so unmerklich an seinem Kaugummi, daß ich gar nicht sicher war, ob er
überhaupt einen im Mund hatte; er hätte genausogut mit einer schwierigen
Zungenübung beschäftigt sein [642] können. »Ich
möchte Ihnen sagen, daß ich Ihrer Meinung bin, Sir«, sagte ich. »Ich glaube auch
nicht, daß Owen Meany sich für den Einsatz in einer Kampftruppe eignet.« Der
Colonel hörte – wenn es auch kaum zu erkennen war – mit dem Kauen auf. »Es ist
nicht nur seine Größe«, wagte ich mich weiter vor. »Ich bin sein bester Freund, und selbst ich habe meine Zweifel an seiner
Stabilität – an seiner emotionalen Stabilität.«
»Vielen Dank. Guten Tag«, sagte der Colonel.
»Vielen Dank, Sir«, sagte ich.
Es war im Mai 1965; ich beobachtete Owen genau – ich wollte
herausfinden, ob Colonel Eiger noch mal versucht hatte, Owen von seinem
Vorhaben abzubringen. Irgend etwas mußte passiert sein – der Colonel mußte
etwas zu ihm gesagt haben –, denn in diesem Frühjahr hörte Owen Meany auf zu
rauchen; von einem Tag zum andern ließ er es sein. Statt dessen fing er an zu
laufen! Nach zwei Wochen rannte er fünf Meilen am Tag; er sagte, sein Ziel – bis zum Monatsende – sei es, eine Meile in durchschnittlich sechs Minuten zu
rennen. Und er fing an, Bier zu trinken.
»Warum denn Bier?« fragte ich ihn.
»HAST DU SCHON MAL VON EINEM SOLDATEN GEHÖRT, DER KEIN BIER TRINKT?« fragte
er mich zurück.
Das klang nach Colonel Eiger; wahrscheinlich betrachtete der Colonel
die Tatsache, daß Owen keinen Alkohol trank, als ein weiteres Anzeichen dafür,
daß er ein Schwächling war.
Und als er schließlich zur Grundausbildung kam, war er ganz gut in
Form – das ganze Gerenne war, trotz des vielen Biers, wesentlich besser als
eine Schachtel Zigaretten pro Tag. Er gab zu, daß er die Lauferei nicht
besonders mochte; doch für das Bier hatte er Geschmack entwickelt. Er trank nie
sehr viel davon – ich habe ihn nie betrunken gesehen, nicht vor der
Grundausbildung –, doch Hester meinte, das Bier wirke sich positiv auf ihn aus.
»Es gibt wohl nichts, das ihn richtig zahm machen würde«, meinte sie, »aber glaub mir: das Bier ist gar nicht schlecht.«
[643] Ich kam mir komisch vor, für die
Meany Granite Company zu arbeiten, wenn Owen nicht da war.
»ICH BIN NUR SECHS WOCHEN WEG«, sagte
er. »UND ÜBRIGENS: ICH BIN GANZ FROH, DASS DU DEN
GRABLADEN FÜHRST. DU HAST DAS NÖTIGE TAKTGEFÜHL, UM DEN AUFTRAG FÜR EINEN
GRABSTEIN ANZUNEHMEN, WENN JEMAND STIRBT. DU KOMMST SICHER GUT DAMIT KLAR.«
»Viel Glück!« wünschte ich ihm.
»WARTE NICHT AUF POST VON MIR – ICH GLAUB, ICH WERD
GANZ SCHÖN BESCHÄFTIGT SEIN«, sagte er. »ICH MUSS MICH
AUF DREI GEBIETEN AUSZEICHNEN – ICH MUSS THEORETISCH BEWANDERT SEIN,
FÜHRUNGSQUALITÄTEN BEWEISEN UND KÖRPERLICH FIT SEIN. EHRLICH GESAGT MACHT MIR
BEI DER LETZTEN SACHE DIE HINDERNISBAHN SORGEN – ICH HAB
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