Owen Meany
die Hüfte und
versuchte sie von ihm wegzuziehen.
Es war nicht einfach; ich mußte sie mit den Händen am Hals packen
und ihr drohen, sie zu erwürgen, ehe sie von ihm abließ und statt dessen
versuchte, mich zu treffen. Sie war sehr stark, und sie war hysterisch; sie
versuchte, auch mich in den Schwitzkasten zu nehmen, doch Owen riß sich das
Handtuch vom Kopf und faßte nach ihren Fußgelenken. Dann versuchte er, sie von
mir loszubekommen. Seine Nase blutete, und seine Unterlippe, die aufgeplatzt
war und geschwollen, blutete ebenfalls; doch gemeinsam bekamen wir Hester
schließlich unter Kontrolle. Owen setzte sich auf ihre Waden, und ich kniete
mich zwischen ihre Schulterblätter und drückte ihre Arme an die Hüfte; so
konnte sie allerdings immer noch mit dem Kopf um sich schlagen – sie versuchte,
mich zu beißen, und als ihr das nicht gelang, schlug sie mit dem Gesicht gegen
den Küchenboden, bis auch ihre Nase blutete.
»Du liebst mich nicht, Owen!« schrie sie. »Wenn du mich lieben
würdest, würdest du nicht gehen – nicht für alle Kinder auf der Welt! Du
würdest nicht gehen, wenn du mich lieben würdest!«
Owen und ich blieben auf ihr sitzen, bis sie zu weinen anfing und
aufhörte, mit dem Gesicht gegen den Boden zu schlagen.
»DU GEHST JETZT BESSER«, sagte Owen zu
mir.
»Nein, du gehst jetzt besser, Owen«, sagte
Hester zu ihm. »Am besten verpißt du dich jetzt!«
Und so holte er sein Tagebuch aus Hesters Zimmer, und wir [661] gingen gemeinsam. Es war ein warmer
Frühlingsabend. Ich folgte dem tomatenroten Kleintransporter an die Küste; ich
wußte, wo er hinfuhr. Ich war sicher, daß er sich auf den Wellenbrecher bei Rye
Harbor setzen wollte. Der Wellenbrecher bestand aus zerbrochenen Granitplatten,
aus Ausschuß vom Steinbruch der Meany Granite Company; Owen meinte immer,
deswegen habe er ein Recht, da zu sitzen. Vom Wellenbrecher aus hatte man einen
guten Blick auf den kleinen Hafen; im Frühling lagen da nicht allzu viele Boote – es war nicht ganz so wie im Sommer, der Zeit, in der wir sonst immer dort
saßen.
Doch in diesem Sommer würde sowieso alles anders werden. Da ich ab
Herbst in der Gravesend Academy »Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten«
unterrichten würde, brauchte ich im Sommer nicht zu arbeiten. Selbst eine
Teilzeitstelle an der Academy würde die Kosten für mein Graduiertenstudium mehr
als decken; selbst eine Teilzeitstelle – während des ganzen Schuljahres – brachte mir mehr Geld als ein ganzer Sommer bei der Meany Granite Company.
Außerdem hatte meine Großmutter mir etwas Geld gegeben, und Owen
würde im Sommer bei der Armee sein. Er gönnte sich dreißig Tage Urlaub zwischen
dem Abschlußexamen und dem Beginn seines aktiven Dienstes als Second
Lieutenant. Wir hatten überlegt, ob wir nicht irgendwohin fahren sollten.
Abgesehen von seiner Grundausbildung – in Fort Knox oder Fort Bragg –, war Owen
noch nie aus Neuengland herausgekommen; ich übrigens auch nicht.
»Ihr solltet beide nach Kanada gehen«,
hatte Hester gesagt. »Und ihr solltet da bleiben !«
Das Meerwasser strömte gegen den Wellenbrecher und zog sich wieder
zurück; Wasserlachen bildeten sich zwischen den Steinen unter der
Flutmarkierung. Owen steckte sein Gesicht in eine dieser Lachen; seine Nase
hatte aufgehört zu bluten, aber die Lippe hatte einen tiefen Riß – sie blutete
noch immer – und über einer [662] Augenbraue
hatte er eine ansehnliche Schwellung. Er hatte zwei Veilchen, eins war deutlich
dunkler als das andere und so geschwollen, daß das Auge nur noch ein Schlitz
war.
»DU MEINST, VIETNAM IST GEFÄHRLICH«, sagte
er. »DU SOLLTEST MAL VERSUCHEN, MIT HESTER ZUSAMMENZULEBEN!«
Doch er war so anstrengend! Wie konnte jemand nur mit Owen
zusammenleben, wissen, was er zu wissen glaubte, und nicht in Versuchung geraten, ihn windelweich zu prügeln?
Wir saßen auf dem Wellenbrecher, bis es dunkel wurde und wir die
Stechmücken leid waren.
»Hast du Hunger?« fragte ich ihn.
Er deutete auf seine Unterlippe, die noch immer blutete. » ICH GLAUB NICHT, DASS ICH WAS ESSEN KANN«, meinte er. »ABER ICH KOMM MIT DIR.«
Wir gingen in eines der schäbigen Lokale an der Strandpromenade. Ich
aß eine Portion Muscheln, und Owen trank ein Bier – mit dem Strohhalm. Die
Bedienung kannte uns – sie studierte an der University of New Hampshire.
»Du solltest dir die Lippe nähen lassen, bevor sie dir abfällt«,
riet sie Owen.
Wir fuhren – Owen in seinem tomatenroten
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