Owen Meany
hat dafür gesorgt,
daß sie davon erfuhr. Harriet Wheelwright hatte an Halloween Geburtstag! Meine
Großmutter haßte Halloween; es war einer der wenigen
Punkte, wo sie mit Gott haderte – daß er sie an diesem Tag hatte auf die Welt
kommen lassen. Es war ihrer Ansicht nach ein Tag, der erfunden worden war, um
Chaos unter den niederen Schichten zu erzeugen, ein Tag, an dem sie
aufgefordert waren, den Besitzenden übel mitzuspielen – und Großmutters Haus
wurde an Halloween immer übel mitgespielt. Die Mauern wurden mit Klopapier
beklebt, die Garagenfenster pflichtschuldigst eingeseift, die Laternenpfähle an
der Auffahrt farbig besprüht (orange), und einmal steckte jemand die größere
Hälfte eines Neunauges in den [727] Briefschlitz.
Owen hatte immer Mr. Morrison, den feigen Postboten, verdächtigt.
Nach ihrer Ankunft im Altersheim kam Großmutter zu der Erkenntnis,
daß die Fernbedienung für das Fernsehgerät eine Erfindung des Teufels sei; es
sei der endgültige Triumph des Fernsehens, sagte sie, daß es einem das Gehirn
abtöten konnte, ohne einem auch nur zu erlauben, sich aus dem Sessel zu
erheben. Dan fand meine Großmutter tot auf, als er sie im Seniorenwohnheim
besuchen wollte. Er besuchte sie jeden Abend, brachte ihr auch die
Sonntagszeitung und las sie ihr jeden Sonntag morgen laut vor.
An dem Abend, als sie starb, fand Dan sie in ihrem Bett sitzend; sie
schien bei laufendem Fernseher eingeschlafen zu sein, die Fernbedienung so in
der Hand, daß das Gerät ununterbrochen von einem Kanal zum nächsten schaltete.
Doch sie schlief nicht, sie war tot, und ihr kalter Daumen hatte sich an den
Knopf geheftet; der nun unermüdlich die Kanäle durchstöberte – auf der Suche
nach etwas Sehenswertem.
Wie sehr wünschte ich, daß Owen Meany ähnlich friedvoll hätte
entschlafen können!
Toronto, 17. September 1987. Es ist regnerisch und kühl; das
richtige Wetter, um wieder in die Schule – und wieder in die Kirche – zu gehen.
Die vertrauten Rituale von Kirche und Schule sind mein stärkster Trost. Aber
die Bishop Strachan School hat eine neue Englischlehrerin angestellt; ich sah
bereits, als sie zum Vorstellungsgespräch kam, im Frühjahr, daß sie jemand war,
den man ertragen mußte – eine Frau, die dem markanten ersten Satz aus Jane Austens Stolz und Vorurteil eine neue Bedeutung verleiht, diesem
Satz, mit dem für meine jüngsten Schülerinnen im Herbst der Unterricht beginnt:
»Es ist eine weltweit anerkannte Wahrheit, daß ein alleinstehender Mann, der im
Besitze eines ordentlichen Vermögens ist, nach nichts so sehr Verlangen haben
muß wie nach einem Weibe.«
[728] Ich weiß nicht, ob ich Jane
Austens Ansprüchen in bezug auf ein »ordentliches Vermögen« genüge; aber meine
Großmutter hat mich äußerst großzügig bedacht.
Meine neue Kollegin heißt Eleanor Pribst, und ich würde für mein
Leben gern lesen, was Jane Austen über sie geschrieben hätte. Mir wäre
wesentlich wohler, wenn ich nur von Ms. Pribst gelesen hätte, anstatt sie
persönlich kennenzulernen. Aber ich werde sie ertragen; ich werde länger durchhalten
als sie. Sie verhält sich abwechselnd dumm und aggressiv, und in jedem Fall
bewußt unausstehlich – sie ist eine teutonische Furie.
Wenn sie lacht, kommt mir der wunderbare Satz gegen Ende von
Margaret Atwoods Der lange Traum in den Sinn: »Ich
lache, und es kommt ein Laut heraus, wie wenn ein kleines Tier getötet wird:
eine Maus, ein Vogel?« Im Falle des Lachens von Eleanor Pribst könnte ich
schwören, das Todesröcheln einer Ratte oder eines Geiers zu hören. Als ich in
der Fachlehrerkonferenz wieder einmal meinen Wunsch vortrug, in der
Abschlußklasse Günter Grass’ Katz und Maus zu
behandeln, ging Ms. Pribst zum Angriff über.
»Warum wollen Sie dieses widerwärtige Buch denn in einer Mädchenklasse behandeln?« fragte sie. »Das ist ein Buch für Jungen «, meinte sie. »Schon allein die Szene mit dem
Onanieren ist für Frauen eine Zumutung.«
Dann beschwerte sie sich, daß ich in meinem Kurs über kanadische
Literatur für die Abschlußklasse sowohl Margaret Atwood als auch Alice Munro
»ausschlachtete«; schließlich gab es nichts, das Ms. Pribst daran gehindert
hätte, sowohl Atwood als auch Munro in einem anderen Kurs zu verwerten – aber
sie war darauf erpicht, Unruhe zu stiften. Ein männlicher Kollege, der diese
beiden Frauen im Unterricht behandelte, »schlachtete sie aus«, wie sie sich
ausdrückte – und zwar so, daß die weiblichen
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