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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nicht, wo Hester war,
doch das kümmerte mich nicht; ich wußte bereits, welche Gefühle seine
Beerdigung in ihr hervorrief. Zuletzt hatte ich Hester in der Front Street
gesehen; zusammen mit meiner Großmutter hatten wir uns – immer wieder – angesehen, wie Robert Kennedy in Los Angeles ermordet wurde. Da hatte Hester
gesagt: »Das Fernsehen ist optimal für Katastrophen.«
    Über Robert Kennedys Ermordung hatte Owen nie ein Wort zu mir
gesagt. Das war im Juni 1968 geschehen, als auch seine Zeit langsam ablief. Ich
bin sicher, daß Owen zu sehr mit seinem eigenen Tod beschäftigt war, um
irgendwas zu dem von Bobby Kennedy zu sagen.
    Es war früh am Morgen, und ich hatte so wenige Sachen in Hesters
Wohnung, daß es nicht weiter schwierig war zusammenzupacken, was ich wollte;
vor allem Bücher. Auch Owen hatte ein paar Bücher in Hesters Wohnung gehabt,
und ich packte eines davon ein – Das Gespräch mit Gott von C. S. Lewis. Owen hatte einen für ihn wichtigen Satz unterstrichen: »Ich
schreibe für Laien über Dinge, in denen ich selbst Laie bin.« Als ich mit
Packen fertig war – und Hester einen Scheck über meinen Mietanteil für den Rest
des Sommers hingelegt hatte, hatte ich noch etwas Zeit, und ich las in Owens
Tagebuch herum; ich beachtete vor allem die unzusammenhängenden Einträge, die
beinahe wie ein Einkaufszettel wirkten, als habe er sich nur Notizen gemacht.
Ich erfuhr, daß huachuca – wie in Fort Huachuca – »Berg der Winde« bedeutet. Und ich stieß auf mehrere Seiten vietnamesischer
Wörter und Ausdrücke – Owen hatte den »BEFEHLSFORMEN« besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Zwei Befehle
hatte er mehrmals hingeschrieben – und sich Anmerkungen zur Aussprache gemacht:
    » NAM XUONG – HINLEGEN! DUNG SO – KEINE ANGST!«
    [771]  Ich las das immer
wieder, bis ich das Gefühl hatte, ich könne es richtig aussprechen. Er hatte
eine ganz gute Bleistiftzeichnung des Phönix angefertigt, jenes Vogels aus der
antiken Mythologie, der sich selbst auf einem Scheiterhaufen verbrennen und
dann wieder aus der Asche emporsteigen sollte. Unter die Zeichnung hatte Owen
geschrieben: » OFT EIN SYMBOL FÜR WIEDERGEBORENEN IDEALISMUS ODER
HOFFNUNG – ODER FÜR UNSTERBLICHKEIT .« Und auf einer anderen Seite
hatte er hastig an den Rand gekritzelt: » DRITTE
SCHUBLADE RECHTS.« Diese Randbemerkung hatte er überhaupt nicht
hervorgehoben; es gab keinen Hinweis darauf, daß das eine Nachricht für mich
war – aber er hatte sicherlich an damals gedacht, als er an Mr.   Merrills
Schreibtisch saß und mit Dan und mir sprach und dabei die Schubladen auf- und
zuschob, ohne daß er ihren Inhalt wahrzunehmen schien.
    Natürlich, er hatte den Baseball gesehen – ihm war seit damals klar
gewesen, wer mein Vater war –, doch Owen Meanys Glaube war immens; für ihn war
auch klar gewesen, daß Gott mir sagen würde, wer mein Vater war. Owen glaubte
fest, daß er es mir nicht zu sagen brauchte. Und außerdem: er wußte, ich würde
nur enttäuscht sein.
    Dann schlug ich eine Seite auf, wo er mich erwähnte.
    »DAS SCHLIMMSTE, WAS ICH JEMALS TUN MUSSTE, WAR
MEINEM BESTEN FREUND DEN FINGER ABSCHNEIDEN! WENN DIES ALLES VORBEI IST, SOLLTE
MEIN BESTER FREUND ENTSCHLOSSEN EINEN SCHLUSSSTRICH UNTER DIE VERGANGENHEIT
ZIEHEN – UND NOCH EINMAL VON VORNE ANFANGEN. JOHN SOLLTE NACH KANADA GEHEN. ICH
BIN SICHER, DAS IST EIN LAND, IN DEM ES SICH GUT LEBEN LÄSST – UND UNSER LAND IST MORALISCH AM ENDE.«
    Dann blätterte ich weiter ans Ende des Tagebuchs und las seinen
letzten Eintrag noch einmal.
    »HEUTE IST ES SOWEIT! ›…WER AN MICH GLAUBT, DER [772]  WIRD LEBEN, AUCH WENN ER STIRBT; UND WER DA LEBT
     UND GLAUBT AN MICH, DER WIRD NIMMERMEHR STERBEN.‹«
    Dann klappte ich Owens Tagebuch zu und packte es zum Rest meiner
Sachen. Großmutter war immer früh auf den Beinen; es gab ein paar Fotos von ihr
und von meiner Mutter, die ich aus der Front Street holen wollte – und noch ein
paar von meinen Kleidern. Ich wollte im Rosengarten mit Großmutter frühstücken;
es war noch eine Menge Zeit bis zu Owens Beerdigung – genug Zeit, um Großmutter
zu sagen, wohin ich ging.
    Dann fuhr ich zu Dan Needham und schilderte ihm meine Pläne; auch
Dan besaß etwas, das ich mitnehmen wollte, und ich wußte, er würde nichts
dagegen haben – jahrelang hatte er sich die Zehen daran gestoßen! Ich wollte
den Türanschlag, den Owen für Dan und meine Mutter gemacht hatte, sein
Hochzeitsgeschenk für sie, mit der Inschrift in seinem

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