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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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abheben oder zumindest
davonfahren würde.
    Durch die wunderbare Hilfe eines Verlängerungskabels hatte man einen
Fernseher mitten auf dem trockenen, braunen Rasen plazieren können; eine Gruppe
von Männern verfolgte ein Baseballspiel, was sonst! Und wo waren die Frauen?
Die meisten von ihnen standen in nach Alter, Ehestand oder
Schwangerschaftsstadium aufgeteilten separaten Grüppchen zusammengedrängt im
Inneren des glühend heißen Hauses. Die backofenähnliche Temperatur schien sie
ausgedörrt zu haben wie die welken, rohen Gemüsestücke in einer Reihe von
Schüsseln neben einer Reihe von Saucen, die jetzt schon den dritten Tag dieser
übelriechenden Luft hier ausgesetzt waren.
    Im Haus gab es ein mit Eis gefülltes Spülbecken, das man vergeblich
nach einem kühlen Bier durchwühlen konnte. Die Mutter mit den hochtoupierten,
klebrigen rosa Haaren lehnte am Kühlschrank und schien ihn vor den anderen zu
bewachen; ab und zu schnippte sie die Asche ihrer Zigarette in ein Gefäß, das
sie gedankenverloren für einen Aschenbecher hielt – das aber in Wirklichkeit
ein kleiner Teller mit Nüssen war, unter die man in einem Anfall von
Kreativität Cornflakes gemischt hatte.
    »Da kommt ja die Scheißarmy!« sagte sie, als sie uns sah. Sie trank
etwas, das wie Bourbon roch, aus einem Longdrinkglas, in das irgendwas
eingraviert war, das nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Fasan, einem Waldhuhn
oder einer Wachtel hatte.
    Es war nicht nötig, mich vorzustellen, obwohl Owen und [826]  Major Rawls das wiederholt versuchten. Es kannte
sowieso nicht jeder jeden; Familienangehörige von Nachbarn zu unterscheiden war
schwierig, und über Detailfragen wie die, welche Kinder wessen Abkömmlinge aus
welcher früheren oder gegenwärtigen Ehe waren, machte man sich erst recht keine
Gedanken. Die Verwandten aus Yuma und Modesto waren durch nichts zu
unterscheiden – außer durch die Tatsache, daß ihre Kinder, und womöglich auch
die Erwachsenen, wenig komfortabel in Zelten und ausgeschlachteten Autos
untergebracht waren.
    Der Vater, der am Flughafen seinen Stiefsohn geschlagen hatte, war
stockbetrunken und im Schlafzimmer, dessen Tür offenstand, einfach umgekippt;
er lag ausgestreckt da, nicht auf dem Bett, sondern auf dem Fußboden vor dem
Bett, wo vier oder fünf kleine Kinder an einem zweiten Fernsehgerät klebten und
wie gebannt einen Krimi verfolgten, der sicherlich keine Überraschung mehr für
sie bereithielt.
    »Wenn Sie hier ’ne Frau aufreißen, zahl ich Ihnen das Hotelzimmer«,
meinte Rawls zu mir. »Ich bin hier schon zwei Tage zugange – das ist meine
dritte Nacht. Ich sage Ihnen, da gibt’s nicht eine Frau, bei der man auch nur
im Traum daran denken könnte, was mit ihr anzufangen – hier nicht. Das Beste,
was ich bisher gesehen habe, ist seine schwangere Schwester – stellen Sie sich
vor!«
    Also versuchte ich, es mir vorzustellen: die schwangere Schwester
des Toten war die einzige Person, die sich bemühte, nett zu uns zu sein; bei
Owen gab sie sich besondere Mühe.
    »Ganz schön hart, Ihr Job«, sagte sie zu ihm.
    »NICHT SO HART, WIE IN VIETNAM ZU SEIN«, erwiderte
er höflich.
    Die schwangere Schwester hatte wohl auch ein recht hartes Leben,
dachte ich; sie sah aus, als müsse sie sich fast ununterbrochen dagegen wehren,
von ihrer Mutter oder ihrem Vater verprügelt oder von letzterem vergewaltigt zu
werden, oder dagegen, von ihrem Halbbruder vergewaltigt und verprügelt zu werden, oder [827]  gegen mehreres
vom Obengenannten in beliebiger Kombination oder gegen alles auf einmal.
    Dann sagte Owen zu ihr: »ICH MACHE MIR
SORGEN UM IHREN BRUDER – IHREN HALBBRUDER, MEINE ICH, DEN LANGEN KERL. ICH
WÜRDE GERNE MAL MIT IHM REDEN. WO STECKT ER?«
    Das Mädchen schien zu sehr erschrocken zu sein, um zu antworten.
    Dann sagte sie: »Ich weiß, Sie müssen meiner Mutter die Fahne geben – bei der Beerdigung. Ich weiß auch, was meine Mutter machen wird – wenn Sie
ihr die Flagge geben. Sie hat gesagt, sie wird Sie anspucken. Und ich kenne sie, sie wird es tun! Sie wird Ihnen ins
Gesicht spucken!«
    »DAS KOMMT SCHON MAL VOR«, meinte Owen. »WO IST DER GROSSE JUNGE – IHR HALBBRUDER? WIE HEISST ER?«
    »Wenn er nicht in Vietnam umgekommen wär, der Scheißkerl, dann hätte
ihn irgendwas anderes umgebracht – das ist meine Meinung!« erklärte die schwangere Schwester und warf einen ängstlichen Blick in
die Runde, aus Sorge, jemand aus der Familie könnte sie gehört haben.
    »WEGEN DER BEERDIGUNG

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