P. S. Ich töte dich
geschlossene Werkstatttür.
Sie gingen zu Isaac hinein. Arlen blieb draußen, hörte ihren Wortwechsel. Edwin Main schrie und fluchte, sein Vater blieb ruhig und sprach mit tiefer, gemäßigter Stimme. Als sie schließlich herauskamen, trug Isaac Handschellen.
Isaac blickte herüber und sah Arlen fest in die Augen; sein Gesichtsausdruck wirkte ungeheuer gütig und liebenswürdig.
Er sagte: »Du musst glauben. Und etwas solltest du noch wissen, mein Sohn. Liebe hält ewig.«
Sie schoben ihn durch die Vordertür, über die Veranda auf die dunkle, schmutzige Straße. Arlen folgte ihnen. Edwin Main schrie immer noch und stieß wilde Drohungen aus. Sie hatten etwa hundert Meter zurückgelegt, als Isaac sein Schweigen brach.
»Du hast sie getötet«, sagte er, »und mit der Zeit wird die Wahrheit schon noch ans Licht kommen. Wir werden mit eurem Hausmädchen sprechen, und mit den Kindern, und sie werden mir bestätigen, was Joy erzählt hat.«
Edwin Main stürmte auf ihn los, doch der Sheriff warf sich dazwischen. Edwin war ein stattlicher Mann, aber Isaac war größer. Er blieb vollkommen ruhig, schaute auf den wütenden Witwer herunter und schien in keinster Weise beunruhigt.
»Du hast sie mit einem Axtgriff niedergeschlagen«, sagte er. »Sie floh aus dem Haus, um dir zu entkommen. Du hast sie über den Hof gejagt und getötet. Dann hast du sie in den Stall geschleppt, damit man dort ihr Blut findet, und das Pferd erschossen, um deine Geschichte glaubwürdiger erscheinen zu lassen. So hat es sich abgespielt. Das ist die Wahrheit.«
Edwin Main befreite sich aus dem Griff des Sheriffs; der geriet ins Stolpern und stürzte auf die Straße. Rasch griff Edwin unter seinen Mantel und zog eine Pistole hervor. Arlen schrie auf und rannte auf die beiden zu. Edwin spannte den Hahn und richtete die Pistole auf Isaacs Kopf, nicht mal einen halben Meter entfernt.
Isaac Wagner rührte sich nicht. Er lächelte. Edwin Main schoss. Arlen fand sich wieder, wie er auf der Straße kniete, während das Blut seines Vaters in den Schmutz rann und um sie herum der Wind tobte mit dem Versprechen auf baldigen Schnee. Arlen spürte, wie sein Herz von der Last des Fluches, der seine Familie getroffen hatte, niedergedrückt wurde.
◊
In dieser Woche trauerte die ganze Stadt um Joy Main, und man bedauerte Edwin für seinen Verlust. Man trauerte um die Familie Main, als an Weihnachten Schnee fiel und der Krieg über den Atlantik kam. Arlen Wagner war nicht da, um die Trauer zu sehen, denn er war auf dem Weg in den Krieg.
Zwei Tage nach dem Tod seines Vaters ließ er sich in einem Rekrutierungsbüro anwerben, weit von seiner Heimatstadt entfernt, wo sein Name unbekannt war. Er gab ein falsches Alter an und meldete sich zum US Marine Corps. Die Marines brauchten gute Männer, mit wachem Verstand und gesundem Körper. Arlen erfüllte beide Anforderungen. Er würde den Ozean überqueren und gegen das Böse kämpfen.
Der Juni zog herauf, die schrecklichen Tage lagen weit zurück, als eine Zeit neuer schrecklicher Tage in einem neuen Land anbrach. Arlen fand sich wieder an einem Ort namens Bois de Belleau, nicht weit von der Marne entfernt; seine Kameraden um ihn herum fielen im Feuer der Maschinengewehre.
Das war die blutigste Schlacht, welche die Marines bisher geschlagen hatten, ein wildes Gemetzel mit unzähligen Angriffen und Gegenangriffen, ehe der Wald unter amerikanischer Kontrolle war; am Ende türmten sich die Leichen zu einem hohen Berg auf. Der Anblick der vielen Toten war für Arlen keine neue Erfahrung. Doch in dieser Juninacht des Jahres 1918, im Mondlicht über der Marne, sah Arlen etwas, das sich radikal von einem Leichnam unterschied – er sah die Toten unter den Lebenden.
Sie hatten an diesem Tag einen Angriff auf den Wald unternommen, der sie durch ein hüfthohes Weizenfeld direkt in das Feuer der Maschinengewehre führte. Für den Rest seines Lebens würde der Anblick von Weizenähren, die sich im Wind bewegen, Arlen erschauern lassen. Die meisten Männer fielen bereits mit der ersten Angriffswelle; Arlen und einige andere Überlebende wurden nach Süden abgedrängt, zwischen die Bäume in ein Gewirr aus Stacheldraht. Die Maschinengewehre feuerten unablässig, und wer ihnen nicht zum Opfer fiel, kämpfte Auge in Auge mit deutschen Soldaten, die ihnen Flüche in einer fremden Sprache entgegenschleuderten, während die Bajonette aufeinanderkrachten.
Bei Einbruch der Nacht hatten die Marines die höchste Zahl an Opfern
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