P. S. Ich töte dich
in ihrer Geschichte zu beklagen. Wenigstens war es ihnen gelungen, einen – wenn auch dürftigen – Stützpunkt im Wald von Belleau zu errichten. Arlen lag auf dem Bauch neben einem Felsen, als um Mitternacht der deutsche Gegenangriff begann. Je näher der Feind rückte, desto sicherer war sich Arlen, dass dieses Gefecht sein letztes sein würde. Er konnte so eine Schlacht nicht überleben, nicht, wenn den ganzen Tag über so viele Kameraden um ihn herum gefallen waren. Diesem andauernden Kugelhagel würde er nicht länger entgehen können.
Das war seine feste Überzeugung, bis die Deutschen auftauchten; es waren nicht nur ihre Schatten – was er sah, hielt ihn davon ab, sein Gewehr anzulegen.
Die Soldaten waren Skelette.
Er konnte Schädel erkennen, die im blassen Mondlicht glänzten, wo eigentlich Gesichter hingehörten. Weiße Knochenhände hielten die Gewehrschäfte umklammert.
Er starrte wie in Trance vor sich hin, als das Maschinengewehrfeuer der Amerikaner einsetzte und die schrecklichen Hunnen in ihre Einzelteile zerlegte. Überall um ihn herum griffen die Soldaten zu ihren Gewehren und feuerten, doch Arlen lag einfach nur da, keinen Finger am Abzug, kaum fähig zu atmen.
Nur eine Sinnestäuschung, eine Lichtspiegelung, redete er sich ein, als ein dichter Nebel heraufzog und den Morgen ankündigte. Der Geruch von erkaltendem und trocknendem Blut mischte sich mit dem Stöhnen der Verwundeten, das ebenso gleichmäßig und durchdringend zu hören war wie vorher das Rattern der Maschinengewehre. Was er im fahlen Licht des Mondes gesehen hatte, waren die Folgen des Traumas, das ein Tag mit so vielen Opfern ausgelöst hatte. Es war nur natürlich, dass sein Verstand in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das wäre jedem anderen genauso ergangen.
Erinnerungen stiegen in ihm auf, Gedanken an seinen Vater, aber er hielt sie in Schach, überzeugt davon, dass es sich um nichts anderes als schreckliche Halluzinationen gehandelt haben konnte.
Der Fluch hatte ihn bis hierher verfolgt, aber er würde nicht daran zerbrechen.
Niemals.
Die Morgendämmerung ließ noch auf sich warten, als die Toten anfingen zu flüstern. Leise. Ganz leise.
Er fragte seine Kameraden – seine
lebenden
Kameraden –, ob sie etwas hörten.
Nichts, wurde ihm geantwortet. Der Feind war irgendwo da draußen, aber er würde nicht vor Anbruch des neuen Tages zurückschlagen. Im Moment waren die Männer sicher.
Die Toten waren anderer Meinung. Sie warnten davor, dass ein feindliches Bataillon im Anmarsch sei. Wie Phantome schlichen die Soldaten durch den nächtlichen Wald, ungesehen, ungehört – eine tödliche Bedrohung. Und Arlen Wagner, dessen Körper so kalt war wie in jener Winternacht, als er den Fluch zurückgewiesen hatte, entschloss sich jetzt, die »Gabe« anzunehmen.
Sag es mir,
flüsterte er.
Sag es mir.
Aus dem amerikanischen Englisch
von Franz Leipold
Wünsche für Alison
Steve Mosby
V orsichtig puste ich über die Spitze meines Fingers und wünsche mir etwas. Meine Augen sind geschlossen; vor allem, weil ich nicht zuschauen möchte, wie die Wimper durch den Raum schwebt. So kann ich mir leichter vorstellen, wie sie aus dieser Welt entschwindet, quasi im Austausch für das, was ich mir am meisten wünsche. Mit offenen Augen könnte ich mitbekommen, wo meine Wimper wirklich landet; und es lässt sich nur schwer daran glauben, dass sich ein Wunsch erfüllen wird, wenn man gesehen hat, wie die Wimper zwischen all den anderen Krümeln auf dem Boden verschwindet. Mein wichtigster Grund ist jedoch: Ich möchte Alison nicht sehen, wie sie dasitzt und ihre Knie umschlingt.
Ich öffne meine Augen wieder, und mein Wunsch hat sich endlich verzogen. Alison ist immer noch da. Es bricht mir das Herz, sie so zu sehen, deshalb starre ich an ihr vorbei. Der vordere Teil des Zimmers liegt im nächtlichen Dunkel. Draußen fällt Schnee. Dicke Flocken schweben einzeln durch die Luft und fallen weich zu Boden. Das Fenster im Haus gegenüber steht einen Spalt weit offen, und die Vorhänge – die Kälte nicht gewohnt – rascheln im Wind wie gereizte Wachtposten.
Ich lehne mich zurück. Das Sofa gibt einen knarrenden Laut von sich. Es ist schon alt, abgenutzt und durchgesessen, lässt aber heute keinen allzu lauten Protest hören. In der Ecke daneben weint Alison still vor sich hin. Es ist ein schreckliches Geräusch. Es klingt nach »zu spät« und erinnert mich an den Wunsch, den ich gerade abgeschickt habe.
Aber Sie kennen bestimmt
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