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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Mausetot!«
    »Nein«, antwortete Isaac. »Ihr Körper ist tot, aber nicht ihre Seele.«
    Arlen stand in der Tür und schüttelte den Kopf; seine Augen füllten sich mit Tränen. Langsam und vorsichtig ließ Isaac den Leichnam zu Boden gleiten; dann wandte er sich seinem Sohn zu.
    »Ich muss sie berühren, um ihre Stimmen hören zu können«, erklärte er. »Es gibt Menschen, die das nicht müssen, die auch ohne Berührung verstehen, aber ich gehöre nicht zu ihnen. Vielleicht mit der Zeit. Es hat mich über ein Jahr gekostet, bis ich die Toten überhaupt erreichen konnte. Ich glaube, dass du mehr Glück haben wirst. Was in mir ist, ist auch in dir. Ja, Arlen, du hast die gleiche Gabe, nur viel stärker ausgeprägt. Ich bin mir da ganz sicher.«
    »Hör auf«, schrie Arlen. »Hör sofort auf damit!«
    »Du glaubst mir nicht«, sagte Isaac. »Wer nicht daran glaubt, kann die Toten auch nicht hören.«
    Arlen sagte ihm, dass er verrückt sei, dass sie einen Ausweg aus dieser Lage finden müssten, bevor sie beide verrückt würden, dass sie noch diesen Winter die Stadt verlassen und sich woanders ein neues Zuhause suchen müssten, ein glücklicheres Heim, wo die Erinnerungen nicht Isaacs Gehirn auf eine Weise martern würden, dass diese verrückten Gedanken in ihm hochkamen.
    Isaac hörte ihm geduldig zu und schüttelte dann seinen Kopf.
    »Meine Bürde liegt hier. Wir alle müssen verstehen lernen, welche Aufgaben uns zugeteilt sind. In Europa ist immer noch Krieg, wir haben oft darüber gesprochen, und die Soldaten im Feld nehmen diese Entbehrungen auch für uns auf sich. Nun, ich muss hier meine Aufgabe erfüllen. Die Toten wollen reden, und ich kann sie hören. Wenn sie mich um etwas bitten, dann tue ich, was ich kann. Ich bin darauf vorbereitet. Und auch du wirst es sein müssen. Du bist mit der gleichen Gabe ausgestattet. Ich bin mir dessen ganz sicher. Ich kann es in dir sehen.«
    »Sprich nicht weiter«, unterbrach ihn Arlen, während er aus der Tür ging. »Sag einfach kein Wort mehr.«
    »Lass deine Ängste beiseite«, sagte Isaac. »Es geht darum, das Richtige zu tun. Diese Frau wurde ermordet, mit einem Axtgriff niedergeschlagen und getötet, Arlen! Das schreit nach Gerechtigkeit. Und ich werde dafür sorgen, dass sie sie bekommt. Ich habe es ihr versprochen. Und wenn mir etwas heilig ist, dann ein Versprechen, das ich den Toten gegeben habe.«
    Arlen drehte sich um und rannte weg.
    Er verbrachte fast zwei Stunden in den Wäldern, kämpfte sich durch das Unterholz mit Augen voller heißer Tränen und einer schrecklichen Angst in seinem Herzen. Er fragte sich, ob sich sein Vater immer noch mit Joy Main abgab oder ob er weggegangen war, um sein Versprechen zu erfüllen. Je länger Arlen umherwanderte, desto klarer wurde ihm, dass er das nicht zulassen konnte.
    Du bist mit der gleichen Gabe ausgestattet, Junge. Ich bin mir dessen ganz sicher. Ich habe es in dir gesehen.
    Es waren diese Sätze, die ihn mehr als alles andere erschreckt hatten und jetzt aus den Wäldern zurück in die Stadt trieben, wo Kerzen funkelten und Weihnachtskränze an den Türen hingen. Sein Vater war verrückt – die Toten sprechen nicht zu den Lebenden; sie waren für immer fort, und nichts blieb von ihnen zurück –, doch Arlen war es nicht. Er
war
es nicht, und er
würde
es auch nie
werden
.
    Sollte Isaac Wagner doch seine Schande selbst ertragen und sie nicht seinem Sohn aufbürden. Wenn Isaac der Welt zeigen wollte, dass er verrückt war, würde sein Sohn sich selbst beweisen, dass er vollkommen normal war.
    Der Sheriff war zu Hause. Während ihm Arlen die ganze Geschichte erzählte, starrte er ihn verwundert an. Als Arlen fertig war, sammelte der Sheriff seine Gedanken, dankte ihm, dass er gekommen war, und sagte ihm, er solle nach Hause gehen und warten.
    »Ich werde bald nach deinem Vater sehen«, sagte er. »Und du hast genau das Richtige getan, mein Junge. Merk dir das: Du hast das Richtige getan.«
    Arlen ging heim. Er wartete. Isaac war zurück in der Werkstatt und arbeitete schweigend.
    Nach einer halben Stunde kam der Sheriff, und er war nicht allein. Edwin Main begleitete ihn, eingehüllt in einen langen Mantel, der ihn vor dem eiskalten Nachtwind schützen sollte. Als Arlen die beiden kommen sah, fühlte er Übelkeit in sich aufsteigen. Warum hatte der Sheriff die Geschichte weitererzählt?
    Ohne anzuklopfen, traten sie ein, erblickten Arlen und fragten ihn, wo sein Vater sei. Mit unsicherer Hand deutete er auf die

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