P. S. Ich töte dich
tobende See nur erahnen lässt.
Ich wendete mich Alison zu.
»Ich glaube nicht, dass Sie mit ihm gehen sollten.«
Die ganze Zeit über sagte der Mann kein einziges Wort. Langsam ging er Schritt für Schritt zurück, seine Augen waren starr auf mich gerichtet. Ich hatte den seltsamen Eindruck, dass er überhaupt kein menschliches Wesen sei, sondern eher eine Art Naturgewalt. Eine dunkle Macht, von der Welt aus einem einzigen Grund heraufbeschworen: um Alison zu vernichten. Eine Macht, die zwar leicht bezwungen werden konnte, doch nur, wenn man rechtzeitig zur Stelle war.
Das war meine erste Begegnung mit Alison. Je näher ich sie kennenlernte, desto mehr wurde dieser Eindruck bestätigt. Sie war wunderschön, eine Mischung aus Enthusiasmus und Unschuld, doch es schien so, als ob das Schicksal etwas gegen sie hätte. Ständig schmiss es ihr Knüppel zwischen die Beine, um sie zum Stolpern zu bringen – oder schlimmer. Im Laufe unserer ersten gemeinsamen Monate wurde eines für mich immer klarer: Sie brauchte dringend jemanden, der seine Wünsche für ihr Wohl verwendete – andauernd und mit aller Kraft. Ich war dazu bestimmt, dieser »Jemand« zu sein.
Gelegentlich besuchten wir ihren Heimatort; dann machte ich manchmal einen Spaziergang über die Farmen und stieg zu einem Hügel hinauf, der neben einem kleinen Wäldchen lag. Auf der einen Seite verlief ein Bahndamm bis zum Horizont, auf der anderen erstreckten sich Wiesen mit hohem Gras, begrenzt von Mauern aus Trockensteinen. Das Dorf, in dem Alison aufgewachsen ist, liegt tief unten im Tal. Man kann die winzigen Häuser erkennen, doch niemand sieht einen hier oben auf dem Hügel. Man ist für sich allein, schutzlos, irgendwie ausgeliefert.
Eine leichte Brise kam auf, ich schaute mich um und dachte:
Hier ist es passiert.
Hier hat alles seinen Anfang genommen, diese Versuche einer dunklen Macht, Alison zu vernichten, als ob sie ein Fehler sei, den man ausmerzen müsse.
Alison war 15 Jahre alt. Eines Tages ging sie mit ihrer Hündin Rebecca, einem Bordercollie, über die Felder spazieren. Auf dem Hügel waren ein paar ältere Jungen. Sie hatten ein Feuer angemacht, doch konnte man die Flammen in der Nachmittagssonne nicht erkennen. Sie waren am Rande des Wäldchens gesessen, hatten sich betrunken und ihre leeren Bierdosen auf den Bahndamm geworfen. Sie waren ausgelassen, und als Alison zufällig vorbeikam – in ihrer stets freundlichen Art –, wollten sie zuerst nur mit ihr spielen. Doch dann ließen sie sie nicht mehr gehen. Drei der Jungen vergewaltigten Alison, und einer von ihnen trat ihrem Hund so brutal gegen den Kopf, dass er später eingeschläfert werden musste. Danach gerieten sie in Panik und versuchten, sie zu erwürgen. Wahrscheinlich wäre es ihnen auch gelungen, wenn sie nicht von einem Farmer gestört worden wären, der ebenfalls mit seinem Hund unterwegs war.
Das war das Schlimmste, was Alison passiert ist – doch es ging weiter, auch in der Zeit, als wir bereits zusammen waren.
Ein junger Mann aus einer ihrer Vorlesungen verfolgte sie auf Schritt und Tritt über den gesamten Campus. Sie stieß fast jeden Tag mit ihm zusammen. Zufall? – Ich glaube nicht. Er hörte nicht auf, sie zu belästigen, und als ich ihn endlich zur Rede stellte, sah ich in seinen Augen das gleiche Feuer wie bei dem Mann vor dem Nachtclub.
Ein anderes Mal wurde Alison von einigen Männern verfolgt, als sie auf dem Weg von ihrer Wohnung zu mir war. Um neun Uhr abends, auf einem vielbenutzten, etwa hundert Meter langen Gehweg, der zwischen Gärten und bewohnten Häusern entlangführte. Normalerweise war der Weg absolut sicher, doch die dunkle Macht legte ihren Schleier darüber, so dass er es in dieser Nacht nicht war. Plötzlich war kein Mensch mehr unterwegs, und alle Fenster waren dunkel. Alison stand es durch, und in Zukunft werde ich sie diesen Weg nicht mehr allein gehen lassen.
Es war nicht immer so dramatisch. Manchmal ging ich an die Bar, um uns einen Drink zu holen, und als ich zurückkam, fand ich sie im Gespräch mit einem fremden Mann. Nichts Schlimmes, aber es passierte ständig.
Manchmal lachten wir sogar darüber.
Ich ziehe verrückte Typen an,
sagte sie dann, und ich antwortete stereotyp:
Nun ja.
Aber es war nicht lustig, und das Lachen blieb mir meist im Halse stecken. Sie wusste, wie sehr mich das Ganze belastete.
Natürlich wurde sie nicht
wirklich
gejagt. Es lag nichts Übernatürliches darin. Es waren einfach nur Männer. Es gibt
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