P., Thomas
meinem
ersten Tag auch bestimmt richtig gut gemacht hätte. Ich fuhr gegen halb vier
bei mir zu Hause in Lingen los, um rechtzeitig zum verabredeten Ort in etwa 80
Kilometer Entfernung zu kommen. Nur eine Stunde später war ich fast schon am
Ziel, bog gerade in die Straße ein, die man mir aufgeschrieben hatte. Eher ein
Feldweg, irgendwo am Arsch der Welt, in der Nähe von Münster. Die Uhr neben meinem
Tacho zeigte 16:29, als auch schon mein Handy klingelte.
»Ey, Mann, wo bleibst du denn?«
»Ich bin ja schon in der Scheißstraße«, war meine
schlichte Antwort, als ich gerade meinen Wagen parkte. Der Typ, den ich abholen
musste, stieg wortlos ein. Und dann ging es auch schon weiter, 80 Kilometer
nach Essen. Dann nach Krefeld - noch mal etwa 50 Kilometer, um den nächsten
»Bruder« abzuholen und am Ende auf irgendeine blöde Angler-Party, bei der ich
mich draußen, im Economy-Bereich, aufhalten musste. Gewehr bei Fuß, versteht
sich, denn mein kleines Taxiunternehmen war ja noch ganz neu. Da wollte man es
sich mit seinen Kunden doch nicht verscherzen. Besonders nicht mit den Kunden,
die für ihre Fahrten nichts bezahlten, weil der Chauffeur zu ihren Leibeigenen
gehörte ...
Beim Gremium MC musste man als Einsteiger natürlich auch
mal ein paar Gläser spülen. Aber das war's dann auch. Wenn ich jemanden zu
einer Party mitgenommen hatte, dann geschah das freiwillig. Wie es sich unter
Freunden eben gehörte. Bei Rot-Weiß wurden solche Dinge nicht nur erwartet, sie
wurden ganz einfach angeordnet. Das Telefon hatte immer neben dem Bett zu liegen.
Von dem Tag meiner Ansage bei den 8lern an musste ich 24 Stunden am Tag, sieben
Tage die Woche erreichbar sein und ohne Widerrede für sämtliche niederen
Arbeiten zur Verfügung stehen.
Alles unentgeltlich natürlich: Wenn ich Ausgaben hatte,
fragte keiner, ob er sich vielleicht einmal an den Spritkosten beteiligen
sollte. Im Extremfall wurde ich von Lingen ins Clubhaus nach Bremen zitiert, um
dort zwei schmutzige Gläser abzuspülen. 200 Kilometer Fahrt für ein bisschen
Abwasch. Jedes Member im Charter hatte meine Telefonnummer bekommen. Wer
keinen Bock hatte, selbst zu einem Treffen zu fahren, wer auch immer kleinere
oder größere Botengänge und Arbeiten hatte, der durfte mich zu jeder Tages- und
Nachtzeit anrufen und zu sich bestellen.
An diesem ersten Abend verlief dann, nachdem ich alle wie
befohlen aufgesammelt hatte, alles einigermaßen ruhig. Auf der Fahrt wurde
sogar ein wenig geplaudert. Es war wohl eher ein vorsichtiges Abtasten, denn
die Jungs wollten natürlich in Erfahrung bringen, wer der Neue war. Der Neue,
von dem man ja auch schon das eine oder andere gehört hatte. Aber ganz egal,
wer ich am Ende wirklich war, die Männer von Rot-Weiß hatten einen neuen
Fahrer, und nur das war wirklich entscheidend. Und dieser Fahrer war fortan für
alle Member zuständig, die aus seiner Gegend kamen. Damit waren aber
dummerweise das gesamte Weser-Emsland und das obere Nordrhein-Westfalen
gemeint.
Auf der Party wurde ich eher kühl empfangen. »Hallo, ich
bin Tom, neuer Hangaround im Charter West Side«, stellte ich mich brav den
unbekannten Gesichtern vor. Manche waren freundlich, andere allerdings gaben
mir nicht einmal die Hand oder schauten mich gar nicht erst an. Ich war in der
Nahrungskette mal wieder ganz unten gelandet. Das wurde mir ganz deutlich signalisiert.
Und es wurde minutiös darauf geachtet, die Rangordnung nicht durcheinanderzubringen.
Die Member nannten sich untereinander alle »Bro«, also »Brother«, oder auch
»Bruder«. Ich durfte das selbstverständlich nicht, schließlich war ich noch
kein Bruder. Ich war allenfalls ein Bruder-Azubi, mehr nicht. Interne Begriffe
wie der Leitspruch »AFFA« (»Angels Forever, forever Angels«) waren für mich
tabu. Im wahrsten Wortsinne, ich durfte solche Dinge einfach nicht aussprechen.
Also stieß man mit seinem Bier an und sagte: »Auf das, was ich nicht sagen
darf.«
Und das war nun wirklich albern.
Es gab aber auch vernünftige Member, die mich als
Hangaround respektvoll behandelten. Und ich war der Meinung, dass das
eigentlich der richtige Weg sein musste. Denn irgendwann wurde dieser
Hangaround auch einmal zum Member. Und wenn dieses neue Mitglied zwei Jahre
lang wie Scheiße behandelt worden war, dann würde der vielleicht tatsächlich
irgendwann zum »Bruder« - aber niemals zu einem Freund. Und ich hätte gerne
Freunde gehabt, nachdem ich bei Gremium erfahren hatte, wie sehr man sich
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