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P., Thomas

P., Thomas

Titel: P., Thomas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Rache Engel
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auf
seine sogenannten Brüder verlassen konnte. Was wäre denn gewesen, wenn es
einmal zu einer brenzligen Situation gekommen wäre? Wollte man tatsächlich
einen Bruder an seiner Seite wissen, der im Zweifel zögern würde, weil er
jahrelang schikaniert und zu niederen Diensten abkommandiert worden war? Aber
so weit dachte ein durchschnittlicher Hells Angel eben nicht.
    Man konnte diese Art der Unterwerfung auch nicht mit den
Ausbildungsmerkmalen militärischer Eliteeinheiten gleichsetzen. Natürlich kam
es auch dort zu entwürdigenden Maßnahmen. Die jedoch hatten in der Regel einen
pädagogischen Hintergrund und sollten beispielsweise das Durchhaltevermögen
der Rekruten bis in die Grenzbereiche hinein ausloten und auch optimieren.
Damit am Ende erbarmungslos gedrillte und erstklassig ausgebildete
Kampfmaschinen ausgespuckt werden konnten. Aber in welcher Art verbesserte das
Aufwischen von Kotze oder Scheiße im Clubheim oder das Männchenmachen bei
Partys den Charakter eines Motorradrockers? Würde man tatsächlich ein
knallharter Hells Angel werden, der zu jeder Zeit für sich und seinen Club
einstehen würde, nur weil man zwei Jahre lang die Servierdüse bei
stumpfsinnigen Clubabenden gespielt hat? Das alles war am Ende nur der Dummfick
von kleinen Würstchen, die sich mit dem Deathhead auf dem Rücken ein wenig
aufplustern wollten. So wie dieser Oberleutnant bei der Bundeswehr, der
glaubte, die Schulterklappen machten einen guten Soldaten. Der Charakter war
es, der zählte, und nicht die Sterne auf der Uniform - oder das Wappen auf der
Kutte.
    Morgens um vier hatten meine Fahrgäste endlich genug, und
ich »durfte« sie nach Hause bringen. Drei Stunden später lag ich dann auch in
meinem Bett. Neben mir mein Handy. Und ich hoffte, so sehr, wie ich selten
etwas gehofft hatte, dass es nicht mehr klingelte...
     
    2.
     
    In den folgenden Wochen arrangierte ich mich mehr oder
weniger mit meiner Situation. Hilfreich waren dabei die Medikamente, die ich
seit längerer Zeit verschrieben bekam und die mich ruhig, sehr ruhig und
gelassen machten. Ich nahm sie seit einer blöden Geschichte im Sommer 2004.
    Damals stritt ich mich mit meiner Frau nur noch. Ich
schwöre, dass ich bis heute nicht weiß, wie so etwas passieren konnte. Ich
selbst habe nur noch Bruchstücke und Bilderfetzen in meinem Kopf. Sie saß am
Esstisch, ich stand an der Spüle, wo auch der Abwasch lag. Sie hatte wohl
irgendetwas gesagt, und ich muss daraufhin ein Messer genommen haben. Danach
fehlen die entscheidenden Sekunden. Alles, was ich heute noch weiß, ist, dass
sie plötzlich verletzt am Esstisch lag. Sie blutete ziemlich stark am Hals,
aber es war gottlob keine tiefe Wunde.
    Am folgenden Tag ging ich zu einem Psychiater. Und dem
erzählte ich dann so einiges aus meinem Leben. Ich blieb im Wesentlichen bei
der Schilderung meines Umganges mit Konfliktsituationen. Aber schon die wenigen
Details, die ich ihm offenbarte, genügten ihm offenbar für seine Diagnose:
»Aggressive Verhaltensstörung mit fehlender Selbststeuerung«. Es war schon
schockierend, so etwas über sich selbst zu hören, wenngleich ich in der
Vergangenheit bei allen Situationen, in denen es Schwierigkeiten gab, immer
auch begründen konnte, warum ich ausgetickt war. Nur in dieser einen eben
nicht...
    Ich war einsichtig - und bin es noch heute - und nahm
fortan meine Tabletten. Seroquel beispielsweise, ein Psychopharmakon, das
eingesetzt wurde bei Psychosen, Depressionen oder bei bipolaren Störungen. Was
immer das auch bedeuten mochte. Die Nebenwirkungen allerdings waren nicht ohne:
Schläfrigkeit, Benommenheit, Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Herzrasen. Das
Zeug knallte richtig rein. Einmal hatte mich ein 100-Kilo-Typ nach einer
Schlaftablette gefragt. Ich gab ihm eine halbe von meinen, und der Kerl konnte
zwei Tage nicht aufstehen. Mir half es, und das tut es heute noch.
    Nach etwa zwei Monaten bei den Hells Angels stand
irgendwann ein anderer Hangaround - ein Leidensgenosse also - bei einem
Clubabend neben mir und sagte, ich solle doch mal die Tabletten weglassen.
Offenbar wirkte ich ein wenig neben der Spur - ich selbst bekam das alles ja
gar nicht mehr richtig mit. Der Typ hieß Andree und schien sich wirklich für
mich zu interessieren, was ja nun in der Vergangenheit nicht allzu oft
vorgekommen war. Wir freundeten uns an, und heute weiß ich, dass ich zu jener
Zeit vielleicht besser nicht auf ihn gehört hätte. Aber ich tat es damals - und
setzte meine Tabletten

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