Paarungszeit: Roman (German Edition)
winkte, bis das Auto um die Biegung Richtung Mohnau verschwand. Dann setzte ich mich an meinen Laptop.
Wir hatten seit unserer Aussprache getrennte Hobby-Bereiche, mein Schreibtisch stand jetzt im Schlafzimmer, zwischen unserem Bett und dem Schrank. Timo konnte im Wohnzimmer nach Herzenslust die Aquarien säubern, im Forum chatten und Zopodil mal mit dem einen, mal mit dem anderen Weibchen zusammenbringen. Bisher ohne Erfolg. Seit Priyas Angriff schien Zopodil der Liebe vollkommen abgeschworen zu haben. Zu den Weibchen war er ritterlich, ließ ihnen galant den Vortritt beim Fressen, sogar bei den roten Mückenlarven. Seine Flosse sah schon beinahe wieder aus wie vorher, und sein früheres offensives Selbstbewusstsein, das doch nur Unsicherheit verbarg, hatte sich zu einer für einen Kampffisch äußerst seltenen Gelassenheit gewandelt. Ich würde später nach ihm sehen. Und nach der Überraschung, die im Wohnzimmer auf mich wartete. Vorhin hatte Timo sich eine Stunde im Wohnzimmer eingeschlossen, herausgekommen war er mit glänzenden Schokopuddingaugen.
Aber zuerst trieb es mich an die Ihajeflo-Geschichte. Ich musste endlich die Kussszene umarbeiten. Solange Timo im Nebenzimmer saß, hatte ich es nicht gekonnt. Jetzt ließ ich meinen Recherchekuss-Erfahrungen freien Lauf, tippte atemlos, wie ferngesteuert. Immer länger wurde der Kuss zwischen Shisanna und dem Fischer, füllte ganze fünf Seiten. Die ich, nach einem schnellen Kaffee und einem Gang ins Bad, durchlas wie die Geschichte einer Fremden. Wenn ich die Kussszene so ließe, würde sich die ganze Story ändern, Shisanna würde mit dem Fischer nach Hause gehen und sich ihm hingeben. Leidenschaftlich, busenbebend. Etwas, das ich an der eher spröden Shisanna bisher nicht bemerkt hatte. Und, ehrlich gesagt, auch nicht an Susn Engler. Die bei dem kürzlich absolvierten Versöhnungsbeischlaf mit Timo, einen Tag nach dem Pfingstmarkt, zwar nicht den Bauch eingezogen, aber ansonsten über alles Mögliche nachgedacht hatte: die Hochzeitsfeier, die Szene, die sie gerade schrieb, und darüber, dass jetzt alles gut war. Was dieser Shisanna, wie sie jetzt auf dem virtuellen Papier stand, niemals passiert wäre. Diese Shisanna hatte alles vergessen, als sie sich an den Fischer drängte … wie auch Susn Engler sich an Cedric gedrängt hatte während des Recherche-Kusses. Vielleicht waren es auch mehrere Küsse gewesen, wenn man es analysierte: Momente, in denen wir Atem geschöpft, einander im Dunkeln angesehen hatten, fassungslos lächelnd, um uns noch enger aneinanderzupressen, Zungenspitze an Zungenspitze, Atem an Atem, Pore an Pore.
Dass dieser Kuss in mir war, dass ich ihn aufgehoben und in flaumweiche Sehnsuchtswatte gebettet hatte, dass in jeder freien Minute meine Gedanken kusswärts strebten, so wie auch alles andere an mir Cedric entgegengestrebt war, dies musste ich mir jetzt eingestehen, angesichts dessen, was Shisanna auf meinen virtuellen Seiten tat. Die Hand über der Löschtaste, verharrte ich einen Moment, kopierte dann den Text, speicherte ihn in einem Extra-Dokument ab und versuchte erneut, die Szene zu schreiben, so, dass sie zur Geschichte passte. Nach einer Stunde zähen Kampfes gab ich auf und ging zum Kleiderschrank.
Ich hatte Jacken und Blusen in Timos Schrankteil verbannen müssen, um Platz für die Hochzeitskleider zu schaffen. Und da hingen sie, alle sieben: das keusche Kleid von Frau Flantsch, Thereses Unglückskleid, das mädchenhafte Hochzeitsdirndl, die ramponierte Sissi, Özcans Kreation, in allen Farben strahlend, Delphines Negligé – und jetzt das Meerjungfraukleid von Onkel Hartl. Ich hatte es an Timo vorbeigeschleust, als er im Wohnzimmer saß. Ich wollte es erst allein anprobieren. Um ihn dann zu überraschen. Vielleicht.
Vorsichtig schälte ich das Meerjungfraukleid aus seiner Hülle, zog mein T-Shirt aus, dann die Jeans. Auch die Socken streifte ich ab – es würde zu mir passen, am Tag meiner Hochzeit in Ringelsocken aufzutauchen, aber wie ich jetzt wusste, gab es Schlimmeres. Der Reißverschluss zog sich über den gesamten Rücken des Kleides. Warum hatte außer Özcan noch niemand ein Hochzeitskleid erfunden, in das eine Frau in aller Würde alleine hineinkam? Ein Kleid für Einzelkämpferinnen an der Hochzeitsfront? Warum rief ich nicht Gina an und ließ mir von ihr helfen? Warum redete ich nicht mit ihr über alles? Sie hatte schon mehrmals auf meinem Handy angerufen, auch Quirin hatte mich gefragt, ob denn alles in
Weitere Kostenlose Bücher