Paarungszeit: Roman (German Edition)
Ich bildete mir wohl ein, überall Transparente zu sehen, seit diesem Streik, als auf einem Bettlaken vor der Feuerwehrkneipe Solidarität für die Bürgermeisterin gefordert worden war und meine Mutter sich heldenhaft vor den Wasserwerfer gestellt hatte. Aber Timos Fische streikten nicht, ganz im Gegenteil. Das, was dicht unter der Wasseroberfläche in der Strömung waberte, hatte ich schon einmal gesehen. Oh mein Gott. Ein Schaumnest! Und Timo war nicht hier! Was sollte ich tun? Ihn sofort anrufen, damit er kurz vor dem Ziel wendete und mit quietschenden Reifen zurückfuhr? Selbst wenn Zopodil, ritterlich, wie er sich jetzt gab, ein Vorspielspezialist geworden war, würde eine Fischpaarung vermutlich keine drei Stunden dauern.
Vorsichtig schlich ich näher an das Aquarium heran. Eins der Weibchen, Xanthippe, das kleinste von ihnen, stand unter dem Nest, sah Zopodils souverän werbendem Getänzel in konzentrierter Ruhe zu. Die anderen Haremsdamen hatten sich in die Pflanzen zurückgezogen, nur ab und zu blitzte eine Flosse hervor, ein Auge. Vermutlich feuerten sie ihre Haremsgenossin an, bei der Eiablage alles zu geben, ein Cheerleader-Grüppchen mit rosa Puscheln an den Flossen.
Und tatsächlich sah ich etwas Rosafarbenes, etwas, das von der Pflanze hing, das dort nicht hingehörte. Ich kniff die Augen zusammen: Es handelte sich um eine Art durchsichtiges Schild, beschriftet mit rosa Leuchtbuchstaben. Eins der Weibchen verdeckte es mit seinen Flossen, als es langsam vorbeischwamm, wie ein lebender Vorhang, der aufgezogen wurde, enthüllte sich der Text Buchstabe für Buchstabe: tug driw sella, las ich, hcid ebiel hci. Eine schockstarre Sekunde glaubte ich an eine geheimnisvolle Fischbotschaft. Dann war das Weibchen vorbeigeschwommen, von rechts nach links, und mir wurde zweierlei klar:
1. Ich hatte rückwärts gelesen.
2. Fische können keine LED-Buchstaben auf Plastik kleben.
Ich las die Botschaft noch einmal, richtig herum, und begriff sie: Susn, ich liebe dich. Alles wird gut.
Einen Moment passierte gar nichts. Nicht in meinem Hirn, in meinem Herzen oder im Aquarium. Dann durchzog ein Fisch mein Blickfeld: Zopodil, der einer Choreographie zu folgen schien, einmal schräg durchs Becken tänzelte, anmutig wendete, sich in flehenden Windungen nach oben schlängelte, Richtung Nest, und ich begriff, dass ich nicht länger warten konnte.
In aller Vorsicht näherte ich mich der Kamera, die wie durch ein Wunder meinen Wutanfall von letzter Woche überlebt hatte, schaltete sie ein und schaute ins Display. Ausgezeichnet. Das Licht der LED-Monde reichte aus, Zopodil war groß im Bild, hinter ihm war das still wartende Weibchen zu ahnen. Jetzt schnell den Laptop einschalten, der noch mit der Kamera verbunden war. Zum Glück hatte mir Timo alles erklärt. Ich öffnete die Seite des Zierfischforums, loggte mich ein als Kampffischfreak82 und drückte den Button »Hochladen«. Eine spannende Weile dauerte es, dann erschien Zopodil, prachtvoll und tiefblau, auf dem Bildschirm. Ich schwenkte die Kamera noch ein wenig, zoomte ihn näher heran. Was auch den Vorteil hatte, dass die Wasserpflanze mit ihrer Leuchtbotschaft nicht im Bild war. Es wäre Timo sicher nicht recht, wenn das gesamte Forum erfuhr, dass er mich liebte. Besonders Goldflossy. Die sich bald mit einem Absolut traumhaft ! unter dem Paarungs-Livestream meldete. Und damit anscheinend die gesamte Belegschaft des Forums auf den Plan rief.
Während Zopodil seine Kreise stetig enger zog, erschienen immer mehr begeisterte Kommentare. Oh mein Gott! Jetzt eilte ich doch ins Schlafzimmer, drückte die Timo-Taste meines Handys, aber Timo ging nicht ans Telefon, wahrscheinlich saß er schon bei der Geburtstagsfeier seines Vaters und hörte dem Kirchenchor zu. Als ich zurückkam, wand sich auch das Weibchen in graziösen Bewegungen, die Zopodil aufstachelten zu auffordernden, leidenschaftlichen, aber immer noch galanten Pirouetten – ein Mann, der wusste, was er tat, der über seine Macho-Allüren hinausgewachsen war und es verstand, eine Frau zu verführen. Er tanzte ein komplettes viergängiges Menü mit weißen Tischdecken, Kerzenlicht, erlesenen Weinen und erlesenen Komplimenten, die das Einmalige seines weiblichen Gegenübers hervorhoben, seine Angebetete ahnen ließen, dass er nicht nur ihren Körper, sondern auch Geist und Seele begehrte.
Sollte ich Musik dazu auflegen, die CD von Lucien, die Cedric mir geschenkt hatte? Aber ich wollte nicht an Cedric denken,
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