Paarungszeit: Roman (German Edition)
Ordnung sei, ob ich nicht mal rüberkommen und reden wolle. Aber ich wollte nicht reden, und ich wollte allein mit dem Meerjungfraukleid ringen.
Ich zog und zupfte, redete mit Engelszungen auf die Zähnchen des Reißverschlusses ein, überredete den Stoff, sich nicht in Wülsten über meine Hüften zu pellen, sondern graziös an mir entlangzufließen. Nach einer peinvollen Dreiviertelstunde voller Verrenkungen, Yoga-Übungen für Fortgeschrittene und einer Art Limbotanz mit Schlangenbewegungen – wobei ich nicht die Schlange war, sondern eher die Mahlzeit, die in der Schlange steckte – hatte ich es endlich geschafft. Ich raffte den Rüschenrock um mich und trippelte zum Lichtschalter. In meinen Träumen war nicht vorgekommen, dass die beiden Seinszustände: ein Meerjungfraukleid tragen und laufen wie ein normaler Mensch einander ausschlossen. Dabei hatte ich noch keine hohen Schuhe an. Und nicht alle Zähnchen des Reißverschlusses hatten zueinandergefunden.
Warum nahm man eigentlich solche Torturen auf sich? Steckte stundenlang das Haar auf, ließ sich die Befestigung des Brautschleiers in die Kopfhaut rammen – im Hochzeitsforum hatte ich Schlimmes darüber gelesen! –, quetschte sich in wirbelsäulenmordende und blasenerzeugende Schuhe, wenn es doch um den schönsten Tag des Lebens ging? Warum gab es keine schicken, aber bequemen Trainingsanzüge für Bräute, in denen sie sich bei ihrer Hochzeit bequem hinsetzen, sich in Trance tanzen und sich anschließend den Bauch mit Torte …
Ich stockte, starrte in den Spiegel. Vor mir, beschienen vom Deckenlicht, stand eine schimmernde Gestalt, mit vollem Busen, weich gerundeter Hüfte und einem kleinen Bauchansatz, der aber zu ihr passte und ihre Erscheinung nur liebenswerter machte.
Vor mir stand eine Traumbraut.
Die einen anderen geküsst hatte.
War dies der Engler-Brautfluch? War ich verdammt, Thereses Fiasko nachzumachen? Immerhin war es beim Kuss geblieben, und es bestand keine Gefahr, dass ich ein Kind bekäme, einen Jungen mit dauerzerrauften Haaren und hellwachen Augen. Schon spürte ich kleine, kräftige Hände, die sich gegen mich stemmten, für mütterliche Umarmungen in der Öffentlichkeit war er schon zu groß, er rannte davon, stolperte über den Sand zum Saum des Wassers, wo er ein gigantisches Tunnelsystem grub. Bis zum Ende des Urlaubs würde er die gesamte französische Küste unterhöhlt haben, flüsterte sein Vater mir ins Ohr, und ich lehnte mich zurück in seinen Arm, in seinen Duft nach Orangen.
Die Vorstellung war so real, dass mich eine Gänsehaut überlief. Und jetzt? Sollte ich in Thereses Fußstapfen treten und vor dem Altar nein sagen? Aber das passte nicht zu Susn Engler. Susn Engler würde vielleicht etwas sagen wie: Also, ich weiß nicht, ich muss noch einmal darüber nachdenken. Es ist ja nicht nur, dass Timo und ich seit einem halben Jahr keinen Sex mehr gehabt hatten, und der Sex auch vorher nicht wahnsinnig spannend gewesen war, der Grund, warum ich mich Cedi derart … naja, hingegeben habe, war ein anderer. Wissen Sie, Herr Pfarrer, das Geknutsche an Alex Strobls Porsche war etwas wie die Fortführung eines Gesprächs, das wir sowieso die ganze Zeit geführt haben, Cedi und ich konnten von Anfang an miteinander reden, mit Worten und in Gedanken und, jetzt schauen Sie mich nicht so an, von Seele zu Seele. Die Sehnsucht der Haut, der Zellen und wie’s aussieht auch der Gebärmutter ist nur die Folge davon. Aber es ist müßig, darüber nachzudenken, Cedi will mich nicht, er hat sich nach dem Kuss entschuldigt, und seitdem geht er mir aus dem Weg. Er hat sicher ein schlechtes Gewissen und hat bestimmt schon alles seiner Freundin …
Glücklicherweise vibrierte das Handy auf dem Nachttisch, bevor ich mich weiter hineinsteigern konnte, und mit schlechtem Gewissen las ich Timos SMS:
schatz, warst du schon im wohnzimmer? viele tausend küsse daduhdl timo.
Die Überraschung! Schnell trippelte ich durch den Flur und riss die Wohnzimmertür auf. Nichts. Nur die leuchtenden Aquarien, die LED-Monde. Im Paarungsbecken schoss Zopodil unruhig umher, stieß heftig Richtung Abdeckung vor. Was er wohl hatte? Und was hieß eigentlich daduhdl? War Timo am Ende gar nicht bei seinen Eltern, sondern heimlich einer fischanbetenden Sekte beigetreten und war deren Großer Daduhdl geworden?
Gerafften Rockes trat ich auf das Aquarium zu, ohne das Deckenlicht einzuschalten. Was hing dort, etwas Weißes, etwas wie … ein Transparent? Blödsinn.
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