Paarungszeit: Roman (German Edition)
widersprach. Ihr Appetit war wirklich rührend. Wenn Timo uns jetzt sehen könnte!
Vielleicht hatte ich in letzter Zeit zu wenig Verständnis für sein Hobby gezeigt. Und wahrscheinlich war meine Frage, wer wichtiger sei, die Fische oder ich, auch äußerst kindisch gewesen. Immerhin hatten wir daraufhin geredet. Und ich wusste jetzt, welches Brautkleid er bevorzugte. Aber wie seine und meine Wünsche zusammenbringen? Und welcher Brautmodenladen würde … Kruzinesen! Natürlich! Özcan Breithuber! Er könnte mir einen Kompromiss schneidern, aus Meerjungfrau und Sissi! Oder es zumindest versuchen. Ich musste ihn fragen. Elektrisiert von diesem Gedanken nahm ich zwei Aspirin, packte die Brautkleidkataloge in meinen Rucksack und machte mich auf den Weg, um noch vor der Arbeit bei ihm vorbeizuschauen.
»Kannst du mir mal sagen, was das ist?« Früher Abend. Der Abend eines äußerst anstrengenden Tages. Timo stand in der offenen Wohnzimmertür und deutete anklagend auf das 60-Liter-Becken.
»W… was?«
Ich beugte mich vor: Die Haremsdamen dümpelten träge über dem Grund und sahen trotz sexueller Enthaltsamkeit ziemlich schwanger aus. Auf der Wasseroberfläche trieben vereinzelte Futterflocken.
»Aber ich wollte ihnen doch nur etwas Gutes … nach dem Sekt … äh … nach dem Frust gestern … ich dachte, du freust dich …«
»Lebendfutter! Vor der Paarung brauchen sie Lebendfutter, das weißt du doch!«, unterbrach Timo mein Gestammel. Um sich gleich darauf dem Computerbildschirm zuzuwenden, auf dem die Diskussionsseite des Zierfischforums geöffnet war.
Es war nicht fair! Ich hatte mir solche Mühe gegeben! Frustriert verließ ich das Zimmer, wusch mir im Bad das Gesicht. Warum nur ging in letzter Zeit alles schief? Özcan hatte ich heute Morgen auch nicht angetroffen, er sei noch im Schlachthaus, hatte seine Frau Franzi gesagt, und nachher müsse er Rüschen besorgen. Was ich denn von ihm wolle? In diesem Moment hatte ich meine Mutter Neuenthals Funmeile herunterkommen sehen in Begleitung zweier Touristen und mich hastig verabschiedet. Was, wenn Gina und ich in dem Münchner Laden auch nichts fanden? Was, wenn ich Özcan nicht überzeugen konnte, mir etwas auf den Leib zu schneidern? Würde mir am Ende nichts als das Hochzeitsdirndl oder der katholische, leicht vergilbte Siebziger-Jahre-Fummel meiner Schwiegermutter bleiben? Oder gar Thereses Hochzeitskleid? Wie konnte sie nur so unsensibel sein, es mir anzubieten! Dieses Unglückskleid, in dem sie nein gesagt hatte! Ein Ereignis, über das man heute noch redete. Hoffentlich nicht, wenn meine Schwiegereltern zu Besuch kamen.
Wie ich dieses Treffen zwischen ihnen und Therese überleben sollte, ohne vor Scham in den Boden zu versinken, wusste ich sowieso nicht. Mit meiner Mutter gab es praktisch keine unverfänglichen Themen. Jederzeit konnte sie eine flammende Wahlrede halten oder als Beispiel gelungenen Widerstands erzählen, wie sie zu ihrer Pension gekommen war (sie hatte sich letzten Sommer vor dem Haus, das die Strobls abreißen wollten, angekettet), danach würde sie zwangsläufig auch erwähnen, dass sie in Wackersdorf gegen die Atomkraft demonstriert hatte, immer mit einem begeisterten: »Des war no a Widerstand, des war no a Solidarität!« Vor allem zwischen ihr und meinem Vater, Matthias Glatthaler. Schon seit Wochen regte mich der Gedanke an das Treffen auf, neben der Sorge um meine nicht vorhandene Wespentaille, das Brautkleid und alle Unwägbarkeiten des Festes. Und Timo ließ mich mit all diesen Sorgen allein!
Ich war mit den Nerven am Ende. So sehr, dass ich jetzt hinter den Spiegel griff und den Sparschweinschlüssel hervorholte. Mein altes Kindersparschwein, das den Schlüssel zum Dachboden enthielt, wo ich in dem Schmuckkästchen meiner verstorbenen Großmutter den Schlüssel zum Keller finden würde. Dort lagerte die Leiter, mit deren Hilfe ich an das oberste, hinterste, verbotenste Fach des Küchenschranks herankam, und damit an die Schokoladenvorräte. Trotz all dieser Vorsichtsmaßnahmen, so viel war mir klar, entsprach die durch die Beschaffungsmaßnahmen verbrauchte Energie höchstens der Kalorienmenge eines einzigen Hanuta. Bei dem es nicht geblieben war, als ich eine halbe Stunde später wieder das Wohnzimmer betrat. Nefertiti, Priya und Xanthippe dümpelten immer noch im 60-Liter-Becken herum, regungslos, mit stumpfem Blick, paralysiert von ihrer Überdosis Futterflocken. Timo hackte auf die Tastatur seines Laptops ein. Was er
Weitere Kostenlose Bücher