Paarungszeit: Roman (German Edition)
Seeungeheuer und Nixenfamilien ausgedacht hatten, schrieb ich Geschichten, anfangs noch mühsam, in unbeholfenen Druckbuchstaben, am Tisch in Thereses Café. Wenn ich sie Therese vorlas, strich sie mir bedeutungsvoll über die Locken: »Madl, die Art Phantasie hast aber ned von mir.« Aber ich war immer überzeugt gewesen, dass ich meine Phantasie nicht von Matthias Glatthaler, sondern von Onkel Hartl hatte. Ihajeflo. Mit klopfendem Herzen starrte ich auf das Wort, sah die Landschaft dahinter, harsche Schneefelder über braunem Fels, Flächen federnden, sumpfigen Grüns, Moos, das jeden ihrer Schritte verschluckte. Über ihr der Himmel des Nordens, tags wie nachts vom gleichen, gnadenlosen Blau. Meine Hand, die linke, schrieb wie von selbst, der Kugelschreiber zitterte auf dem Blatt: Ein fremdes, helles Blau, wie die Farbe seiner Augen. Sie hatte keine Wahl, sie musste Jon vertrauen, er war es, der sich hier auskannte, er war es, der sie vom Ihajeflo-Massiv hinunter zum Fjord führte, in das Gasthaus, wo sie ein Nachtlager fand.
» Ich schlafe selbstverständlich draußen«, sagte er, und seine Stimme klang …
Kruzinesen! Das Telefon, im Flur. Bevor ich mich auch nur aufgerichtet hatte, war Timo schon losgestürzt, riss es aus der Station und rannte damit Richtung Küche. Um gleich darauf zurückzukommen und mir den Hörer hinzuhalten: »Deine Mutter.« Er klang nicht gerade begeistert, und seufzend nahm ich ihm den Apparat aus der Hand.
»Was gibt’s?«
»Susn! Endlich! An dein Handy gehst ja ned! Dei Voder war nachaad doo …« Sie holte Luft, wurde amtlich: »Also … dein Vater war … ist hier! I … ich meine, morgen kommt er wieder.«
»Äh? Morgen … Matthias Glatthaler … hier?« Ich konnte nur stottern, schickte Timo einen verzweifelten Blick, aber der hatte sich schon wieder seinem Computer zugewandt, saß mit gekrümmtem Rücken davor, den Kopf vorgestreckt, als wollte er in den Monitor hineinkriechen.
10.
E s war nur der Champagner. Am helllichten Nachmittag. Der Champagner, der sie schwindlig machte. Oder war es die Figur auf dem Plakat? Es klebte an der Tür ihres Ladens. Dort, wo alle es sehen würden. Tradition braucht Zukunft. Therese Engler für Neuenthal. Leuchtend blaue Buchstaben in einer spitzen Schreibschrift, Buchstaben wie kleine Berge. Über ihnen eine springende Figur mit Hut, der Hut flog mit dem Sprung, und auch der mächtige Busen der Figur wogte mit, vortrefflich eingefangen von diesem Münchner Künstler, das musste man ihm lassen. Es war beinahe ein Spagatsprung, den die Figur dort vollführte, zirkusreif, mit wehendem Rock.
»Mei – aber i … ich kann doch gar keinen Spagat!«, stammelte sie, hinein in Matts erwartungsvollen Blick, und er lachte.
»Aber klar kannst du! Einen Spagat zwischen deinen Berufen und Berufungen. Ladeninhaberin, Wirtin, Pensionsleiterin, Mutter, Politikerin, schöne Frau! Auf dich! Cin-Cin!« Wieder ein Schluck Champagner. Matt hatte Flasche und Gläser mitgebracht, als Beigabe zu den Plakaten. »Es ist ein Bild von deiner Seele, Therese. Deinem Mut. Deiner Grazie. Solche Darstellungen wirken direkt aufs Unbewusste, du wirst sehen!«
Was wohl das Unbewusste der Neuenthaler Bevölkerung dazu sagen würde? Schräg gegenüber schloss Franzi, die Inhaberin des Edekamarkts und der Poststelle, gerade ihr Geschäft. Zwei Stunden vor dem offiziellen Ladenschluss. Und eine halbe Stunde nach der Mittagspause. Auch hinter der Tür der Feuerwehrkneipe war Leben.
»Scho wieda strammer Max, ja und? Die Hühner legn hoit wia narrisch, seit der neue Gockel do is!«, grantelte Resi. Wann Anderl diesem Gegrantel und vierzehn Tagen strammem Max in Folge entfliehen würde, hierher auf die Straße, samt seinem Alibi-Besen, war nur eine Frage der Zeit, und hörte sie nicht von fern das Brummen eines Dienstmotorrads? Oder war es das Summen in ihren Ohren? Es war eindeutig zu viel. Alles. Die Reaktion ihrer Tochter auf Matts Besuch, statt überschäumender Freude nur Ängste: Was die Eltern von Timo mit dem unmöglichen Nachnamen, diese Flantschs, dazu sagen würden, die Aufregung vor dem heute geplanten Abendessen im Restaurant, mit Matt, Susn und diesem Flantsch, und jetzt …
»Wo kleben wir das nächste hin, Therese?«
Matt schob sie weiter, tat so, als bemerkte er nicht, dass Fredl herangeknattert war. Im Schritttempo fuhr der Supercop Neuenthals neben ihnen her, hatte die schwere Maschine gedrosselt, ebenso wie seinen offensichtlichen Zorn.
Sollte sie Matt
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