Paarungszeit: Roman (German Edition)
schwingen, die würde sie sich für das Duell aufheben.
Fredl sah sie an. Mit dem gleichen Blick, mit dem er sie angesehen hatte, als sie gemeinsam mit Christiane Breitner und den Strobls die Einzelheiten des Rededuells besprachen. Wieder musste Therese Engler den phantastischen, beinahe schon genialen Einfall ihrer Wahlberaterin bewundern. Das Rededuell zu verweigern und damit zuzugeben, dass Fredl Weidinger nicht die rhetorische Kanone war und lieber durch Taten glänzte, war dem Gegner nicht möglich gewesen.
»A Gaudi, ha!«, stieß Fredl jetzt zwischen zusammengepressten Lippen hervor, drehte sich um und verließ den Laden. Stumm sahen sie alle zu, wie er auf sein Motorrad stieg und knatternd verschwand.
Den Rest des Tages dachte Therese Engler darüber nach, ob sie sich bei Lucien entschuldigen sollte. Und über Fredl Weidingers Blick. Den sie nicht nur von der Besprechung des Rededuells kannte. Sondern auch von einem wolkenverhangenen Sommermorgen vor dreiunddreißig Jahren. Mei. Seit sie Lucien davon erzählt hatte, war alles wieder so nah. Das Zimmer in der Pension Seerose, die Schleiflackmöbel, die Asche auf dem Teppich, die leeren Flaschen. Dem Morgen, an dem Fredl sie so angesehen hatte, war eine nächtliche Party vorangegangen. Eine Fete, die alle Feten vorher in den Schatten stellen sollte, auch die Knutschparty bei der Skifreizeit. Eine Übernachtungsparty im gesamten ersten Stockwerk der Seerose.
Die Besitzer, die Eltern ihrer Schulkameradin Maria, waren weggefahren, und Marias schwerhörige Oma war mit Obstler ruhiggestellt worden. Die Eingeladenen hockten auf Stühlen, Betten und auf dem Boden. Musik, A Whiter Shade of Pale, und irgendwas von Supertramp. Lambrusco und Zigaretten. Erste Annäherungen im tristen Licht der Pensions-Nachttischlampen. Entzückt-empörtes Gekreisch aus dem Badezimmer, eine laufende Dusche. Außer den Mädchen und den Jungen aus der Schule waren ein paar Hallodris aus der Kreisstadt gekommen, lässige Typen, denen Lambrusco nicht genügte. Sie packten seelenruhig ein Säckchen Haschisch aus. Stritten dann, weniger seelenruhig, wer von ihnen vergessen hatte, die Pfeife oder das Kawumm mitzunehmen. Keiner aus Mohnau oder Sonnau am anderen Ufer des Sees wusste, was ein Kawumm war, Therese Engler aus Neuenthal schon gar nicht. Einer der Lässigen ließ sich schließlich herab, die staunende Landbevölkerung aufzuklären: Ein Kawumm war ein Rohr, dessen hinteres Loch man zuhielt, um es beim Zug blitzschnell freizugeben, was den Rauch – Kawumm! – direkt in die Lunge katapultieren, die Wirkung der Droge erhöhen und gigantische Räusche auslösen sollte. In dem ehrfurchtsvollen Schweigen, das dieser Erklärung folgte, erhob sich Maria, schwankte lambruscoselig zur Tür, suchte eine Weile geräuschvoll in der angrenzenden Wohnung herum. Und kehrte entrückt lächelnd wieder. Mit der Blockflöte ihrer kleinen Schwester.
»Müssts hoit a paar mehr Löcher zuhalten«, säuselte sie, worauf einer der Jungen ein cooles »Passt scho« von sich gab und den inzwischen gedrehten Joint kurzerhand in das hintere Ende der Flöte steckte. Wie im Blockflötenunterricht der Mohnauer Kirchengemeinde geübt, legten die Kiffenden acht Finger auf die Flötenlöcher, vergaßen auch das hintere Loch für den Daumen nicht, griffen ein sauberes C, an dem ihre Lehrerin sicher viel Freude gehabt hätte. Kiffen, so viel wusste Therese, würde einen schlimmeren Skandal auslösen als die Antibabypillenpackung, die vor kurzem aus der Tasche einer Mitschülerin gefallen war. Und diesem Skandal würde Therese Engler aus Neuenthal in ihrem Hippiehemd aus dem Modeladen der Kreisstadt keinesfalls ausweichen! Vor Eifer atmete sie versehentlich in die Flöte, ein fiepender Ton entwich dem zweckentfremdeten Instrument, und schnell zog sie den Rauch in sich hinein. Und spürte nichts. Trotz ihres anschließenden Hustenanfalls. Die Wirkung der skandalösen Droge schien an Therese Englers Neuenthaler Bodenständigkeit abzuprallen. Während Maria schon mit der Zimmerpflanze redete, die Jungen glasig vor sich hinstarrten und sich zu A Whiter Shade of Pale wiegten.
Vielleicht war die Sache mit Fredl deshalb passiert. Weil sie unbedingt etwas spüren wollte. Fredl hatte an diesem Abend bestimmt zehnmal die Uhrzeit sagen müssen, zum Amüsement aller, was Therese, lambruscobedingt gefühlvoller als sonst, sogar ein wenig leidtat. Er zog auch ein-, zweimal an der Flöte. Und ansonsten passte er auf, dass keiner
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