Paarungszeit: Roman (German Edition)
der lässigen Kifferkerle sich an Therese heranmachte. Und gerade als sie meinte, etwas zu spüren, ein Schweben, einen Schwindel, der vielleicht auch auf den Lambruscogenuss vorher zurückzuführen war, legte Fredl den Arm um sie. Konnte man den Rest mit »Mei, es war dunkel« entschuldigen?
Nach und nach verschwanden die anderen, paarweise, die lässigen Kiffer, die säuselnde Maria, und dann war da nur noch Fredl, seine Küsse, die Therese schon von der Skifreizeit kannte, und das Wissen, dass jetzt alle im ersten Stockwerk der Pension Seerose das Gleiche, Verruchte taten wie sie. Das Nächste, woran Therese sich erinnerte, waren die medizinisch riechenden Kondome aus der Apotheke und der verschwommene Gedanke: Würde Fredl, falls sie die Lust überkäme, ihm zärtliche Worte ins Ohr zu flüstern, ihr die Uhrzeit sagen? Wollte sie wissen, wie spät es war? Wollte sie – auch dieser schändliche Gedanke kam ihr – es ausprobieren, um am nächsten Tag in der Schule etwas zu erzählen zu haben? Nur intern natürlich, Toni und einigen Eingeweihten. Aber Toni war selbst weniger mitteilsam, seit sie mit Tom ging, und Therese Engler überkam nicht die geringste Lust, Fredl Weidinger zärtliche Worte ins Ohr zu flüstern. Auch sonst überkam sie nichts weiter, kein plötzliches Verlangen, keine feierliche Erschütterung, weil sie jetzt zur Frau wurde, Therese Engler aus Neuenthal zog ihre Entjungferung durch, wie sie vorher an der Flöte gezogen hatte. Fredl Weidinger, der kein einziges Mal die Uhrzeit sagte und auch sonst nicht viel, war ihr Mittel zum Zweck. Am nächsten Morgen, als die hinter Wolken hervorlugende Sonne ein Desaster beschien – Gläser, Flaschen, Kippen, zerknülltes Bettzeug, alle Arten von Flecken –, bot Fredl ihr an, sie mit dem Mofa heimzubringen. Aber Therese Engler lehnte ab und wartete auf den ersten Bus. Und dort, vor dem Bushäuschen aus Holz, hatte Fredl Weidinger sie so angesehen, mit einem Blick, in dem Liebe, Schmerz, Schmach und verletzter Stolz glühten. Und dann hatte er sich auf sein Gefährt geschwungen und war davongebraust.
Am frühen Abend schloss Therese ihr Café und den Laden, zog sich um und schminkte sich. Sie würde gleich nicht nur Lucien, sondern auch ihrer Wahlberaterin gegenübertreten müssen. Perfektion in der äußeren Erscheinung war auf jeden Fall ratsam. Wie weit sich das, was im Laden passiert war, wohl inzwischen herumgesprochen hatte? Fredl hatte sich erstaunlicherweise nicht mehr blicken lassen, auch sonst hatte Therese außer dem zurückkehrenden Schnorchel-Schnupperkurs und einigen Touristen niemanden gesehen, der Edekamarkt schloss früh und die Einkaufsmeile blieb leer. Als ob sich das gesamte Dorf mental auf die heute stattfindende erste musikalische Probe für den Pfingstmarkt vorbereitete. Ein Ereignis, dem eine künftige Bürgermeisterin selbstverständlich beizuwohnen hatte. Eine nicht so angenehme politische Pflicht in Anbetracht der Speisenauswahl des Lokals. Aber vielleicht die günstigste Gelegenheit, Christiane Breitner das Dirndl-Desaster zu gestehen, bei einem oder zwei Hellen und friedlicher bayerisch-französischer Musik.
Die gesamten hundert Schritte von ihrer Wohnung bis zur Feuerwehrkneipe übte Therese möglichst harmlos klingende, lockere Formulierungen, die ihrer Wahlberaterin einerseits das Geschehene näherbringen, es andererseits zu der kleinen, beinahe amüsanten Nebensächlichkeit machen würden, die es schließlich auch war. Ob Lucien das auch so sehen würde?
Immerhin lächelte er, als sie ankam. Er trug einen seiner sportlich-edlen Pullover, die immer ein bisschen nach Yachtclub aussahen, und hatte die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgestreift. Neben ihm saß Delphine de Brulée in ihrem Blüschen, einen Hauch von einem Seidentuch um den zierlichen Hals. Anderl hatte zur Feier des Tages den runden Tisch frei gemacht, den der blauweiße Wimpel als Stammtisch auswies. Die eigentlichen Stammtischsitzer, eher unpolitische Neuenthaler, die man wegen ihrer regelmäßigen Anwesenheit auch hätte als Stammtischbewohner bezeichnen können, tranken ihre Hoibe im hinteren Bereich des Lokals, zwischen Hirschköpfen, Zinntellern, Resis bestickten Wandbehang-Staubfängern und der leeren Stelle, wo das Bild von der Negligé-Party gehangen hatte.
Therese Engler versäumte nicht, die Stammtischbewohner freundlich zu grüßen. Gerade sie, die angenommenen Nichtwähler, konnten das Zünglein an der Waage sein! Sollte sie eine kleine
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