Pacific Paradise - Boone Daniels 2
Paddleball oder bauen Sandburgen. Ein paar Frauen schlummern auf Liegestühlen, auf ihren Bäuchen liegen aufgeschlagene Taschenbücher.
Oben schlendern Leute über den Crystal Pier, genießen die Aussicht, die Sonne, das blaue Wasser. Einige Angler scharen sich am Ende des Piers, lassen ihre Schnüre ins Wasser hängen, an einem Tag wie diesem, an dem die Fische nicht beißen, eigentlich eher ein Vorwand. Unter dem Pier paddeln einige zuversichtliche Mittagssurfer, mehr aus Gewohnheit als in der berechtigten Hoffnung auf eine anständige Welle. Trotzdem, immer noch besser, als im Büro zu sitzen und auf den Gong zu warten, der sie wieder zu dem Mist zurückruft, der auf ihren Schreibtischen wartet.
Pete hat recht mit der Lyncherei, denkt Boone. Die Zeitungen waren voller Leitartikel und Leserbriefe, die ein entschiedenes Vorgehen im Mordfall Kuhio forderten und in den Radiotalkshows wurde der Niedergang von Pacific Beach beschworen, Anrufer und Moderatoren schrien nach verschärften Maßnahmen.
Der Blödmann Corey kriegt das jetzt ab. Aber ist das so ungerecht? Er hat jemanden umgebracht.
Fall erledigt.
Oder doch nicht? Starb Kelly an dem Schlag oder am Straßenpflaster? Du warst selbst schon an der einen oder anderen Keilerei beteiligt, hast nicht schlecht ausgeteilt. Was, wenn einer, der einstecken musste, rückwärts umgefallen wäre, sich den Kopf so gnadenlos heftig gestoßen hätte, dass seine irdische Platzreservierung verfallen wäre? Wärst du dann des Mordes schuldig und müsstest zu Recht den Rest deines Lebens in einem Schuhkarton verbringen?
Kommt drauf an.
Worauf?
Darauf, welchen Scheiß Alan genau ermittelt haben will. Du kennst das Spiel – Alan ist zu schlau, um auf Freispruch zu plädieren, er wird stattdessen versuchen, die Geschworenen von einem weniger schwerwiegenden Tatbestand zu überzeugen und sie bis zur Urteilsverkündung möglichstweich zu klopfen. Wenn es dann überhaupt noch zu einer Verhandlung kommt – wahrscheinlich findet er irgendwelche Fakten, die die Staatsanwältin veranlassen, dem Jungen einen Deal anzubieten.
Boone sieht wieder auf den Ozean hinaus, wo ein Schwarm Pelikane über die Wasseroberfläche gleitet. Eine leichte Brise weht den Geruch von salziger Luft und Sonnencreme herüber.
Hat Pete recht? Fragt sich Boone. Regst du dich deshalb so auf, weil der Mord belegt, was du schon lange wusstest, aber nicht wahrhaben wolltest? Weil Surfen nicht die Utopie ist, die du immer darin sehen wolltest? Sehen musstest.
Er beschließt, seinen persönlichen Seelsorger aufzusuchen.
14
Dave the Love God sitzt oben auf dem Rettungsturm. Boone stellt sich unten hin und ruft: »Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen.«
»Erlaubnis erteilt.«
Boone klettert die Leiter hoch und setzt sich neben Dave, der zur Begrüßung nicht einmal den Kopf wendet. Dave starrt unablässig aufs Wasser, an den seichten Stellen wimmelt es vor Touristen und er lässt sie nicht aus den Augen. Klar, der Ozean ist friedlich, aber Dave weiß aus Erfahrung, wie schnell Langeweile in blankes Entsetzen umschlagen kann. Obwohl die Behauptung, Dave würde von seinem Turm aus Turistas ausspähen – was auch stimmt – bei der Dawn Patrol längst zum Running Gag geworden ist, nimmt er seinen Job in Wirklichkeit verdammt ernst, wenn Leute im Wasser sind und er Dienst hat.
Das ist die Regel, die ihm Boones Dad eingeschärft hat, die Regel, mit der sie alle aufgewachsen sind: Kehre dem Ozean niemals den Rücken zu.
Auch nicht, wenn keine Wellen da sind, denn in der Sekunde, in der du’s tust, wird sich ein echter Donnerbrecher aus dem Nichts erheben und dich niederschmettern. Der Ozean mag an der Oberfläche aussehen, wie er will, was aber darunter passiert, ist eine ganz andere Sache. Eine, die vielleicht tausende von Kilometern entfernt begonnen hat und sich auf dich zu bewegt, und du kriegst erst was davon mit, wenn’s zu spät ist.
Dave hat schon an total ruhigen Tagen Dienst geschoben, als plötzlich beschissene Brandungsrückströme gleich mehrere Badende rausgezogen haben und dann geht’s um alles, die wenigen Sekunden, die er vielleicht gebraucht hätte, um seine Überraschtheit zu überwinden, hätten diese Menschen das Leben gekostet. Aber so wie’s gelaufen ist, war er nicht überrascht, der Ozean überrascht Dave nie, denn so sehr wir ihn auch lieben, der Ozean ist ein verflucht wankelmütiges Miststück. Trügerisch, launisch, verführerisch, mächtig und todbringend.
Deshalb
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