Pacific Paradise - Boone Daniels 2
»Das Problem ist, dass ich ihnen nicht sagen kann, welchen Eindruck ich von Corey habe, weil ich leider nie Gelegenheit hatte, einen zu gewinnen. Ich habe bei ihm versagt, insofern ich ihn überhaupt nie richtig kennengelernt habe.«
Corey Blasingame zu fassen kriegen war so, als wollte man nach Wackelpudding greifen, erklärt sie Boone. Kein Teenager hat eine vollständig ausgeprägte Persönlichkeit, aber Corey war ganz besonders amorph. Er blieb unauffällig, zeigte großes Geschick darin, durch die Ritzen zu schlüpfen. Er war weder außergewöhnlich begabt noch außergewöhnlich unbegabt. Er hatte Dreier, keine Einser und keine Fünfer, nichts Auffälliges. Er kandidierte nie als Klassensprecher, trat keinerlei AGs bei, schloss sich keinen Cliquen an. Er war aber auch nicht der klassische Loser – im Speisesaal saß er zum Beispiel immer mit anderen zusammen und unterhielt sich mit ihnen.
Nein, er wurde nicht gemieden, geärgert oder schikaniert.
Freundinnen. Er hatte Verabredungen für die verschiedenen Tanzveranstaltungen, aber es gab kein bestimmtes Mädchen, ganz gewiss keine aufsehenerregende Highschool-Romanze. Und zum beliebtesten Schüler wurde er schon gar nicht gewählt.
In seinem ersten Jahr hat er Baseball gespielt.
»Und jetzt fragen Sie sich«, sagt Lee, »warum ich nicht mehr weiß. Doch, das tun Sie, und geben Sie sich keine Mühe, es zu leugnen. Ich weiß es, weil ich mich selbst tausend Mal gefragt habe, warum ich nicht mehr weiß. Und die brutale Wahrheit ist, dass ich ihn wirklich kaum wahrgenommen habe. Er war kein Junge, der auffiel. Das war er einfach nicht, und ich habe viele schlaflose Nächte lang versucht, mir einzureden, dass ich ihm kein Unrecht angetan habe, indem ich ihn übersehen habe, und dass ich dem Mann, den er getötet hat, kein Unrecht angetan habe. An so etwas denkt man doch nicht …«
Sie verstummt und starrt aus dem Fenster.
»Nein, tut man nicht«, sagt Boone. Er will etwas sagen, um sie aus ihrem schwarzen Loch zu holen, aber ihm fälltnichts ein, das nicht dumm klingt, und außerdem weiß er aus Erfahrung, dass einen niemand aus einem Loch holen kann, in das man sich selbst vergraben hat.
Boone steht auf dem Parkplatz, als ein Mann von hinten auf ihn zugerannt kommt.
»Sie waren gerade im Büro und haben sich nach Corey Blasingame erkundigt?«, fragt der Mann. Er ist sehr jung, vielleicht Ende Zwanzig, und er sieht aus wie ein Lehrer, der noch Spaß an seinem Beruf hat.
»Mein Name ist Daniels«, sagt Boone. »Ich arbeite für Coreys Verteidiger. Erinnern Sie sich an ihn?«
»Ray Pedersen. Ich trainiere die Schulmannschaft.«
»Ich habe mich gefragt, was da los war im letzten Jahr«, sagt Boone. »War er gut?«
»Nein« sagt Pedersen. »Er hielt sich für einen Pitcher, der ganz groß rauskommen würde. Sein Slider war ganz anständig, aber mit dem Fastball kam er nie über die Siebzigermarke hinaus. Viele seiner Würfe waren Nieten.«
»Wurde er rausgeworfen oder ist er ausgestiegen?«
»Er ist ausgestiegen«, sagt Pedersen.
»Weil …?«
»Kennen Sie den Vater?«, fragt Pedersen.
Boone schüttelt den Kopf.
»Sehen Sie sich den Vater an«, sagt Pedersen. »Das erklärt alles.«
34
Der Vater, erfährt Boone von Pedersen, stand ständig am Spielfeldrand und schrie seinen Sohn an. Nicht ungewöhnlich im südkalifornischen Schulsport, immerhin schaffen es einige Kids sogar in die großen Ligen, Coreys Dad aber war der Inbegriff eines Irren.
»Völlig übertrieben«, sagt Pedersen.
Bei jedem Wurf äußerte Bill Blasingame laut brüllendKritik. Schon beim Aufwärmen schrie er Kommandos. Das ging weit über das übliche Anfeuern hinaus – Bill beschimpfte seinen Sohn, weil ihm dessen letzter Wurf nicht gut genug gewesen war und er daran zweifelte, dass sein Sohn die Nervenstärke, den Mut oder das Talent besaß, um in diesem Sport Erfolg zu haben.
Und er drangsalierte den Schiedsrichter. »Der war in der Ecke! Der war in der verfluchten Ecke! Komm schon, Schiri. Wach auf!«
Das ging so weit, dass Pedersen das Gespräch mit ihm suchte und ihn bat, die Regler runterzufahren und sich auf die Tribüne zu setzen, wo er den Jungen nicht ablenken würde. Blasingame nahm das ganz und gar nicht gut auf, meinte, er sei Steuerzahler und habe ein Recht darauf zu stehen, wo er wolle – als Elternteil dürfe er ja wohl noch mit seinem eigenen Sohn sprechen, da solle ihm keiner was anderes erzählen.
Nur tat Pedersen das trotzdem.
Er erteilte ihm
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