Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
unterstützt Leute von den Inseln, mehr nicht.«
»Vielleicht erweitert er seinen Kundenstamm«, sagt Boone.
»Vielleicht«, sagt Tide. »Aber ich will’s bezweifeln. Angenommen, du schuldest Eddie Geld und zahlst nicht, dann lässt er das nicht an dir aus, sondern an deiner Familie zu Hause. Und das ist eine Schande, Boone, eine große Schmach, und am Ende kümmert sich die Familie um die Schulden, so oder so.«
»Ganz schön brutal.«
»Willkommen in meiner Welt«, sagt Tide. Lässt sich schwer erklären, sogar einem Freund wie Boone, das mit dem Spagat zwischen dem Pazifik und Amerika. Boone hat buchstäblich sein komplettes Leben im Umkreis weniger Straßenzüge von dem Ort verbracht, an dem die beiden jetzt gerade sitzen. Er oder Dave und noch nicht mal Johnny können verstehen, dass Tide, der die Straße rauf in Oceanside geboren wurde und aufgewachsen ist, einem Dorf in Samoa verpflichtet ist, das er nie gesehen hat. Und dasselbe gilt für die meisten Ozeanier in Kalifornien – alle habenlebendige Wurzeln auf Samoa, Hawaii, Guam, Fiji und Gott weiß wo.
Man fängt also an, Geld zu verdienen, schickt etwas davon »nach Hause«, um Verwandte im Dorf zu unterstützen. Ein Cousin kommt rüber, wohnt bei dir auf der Couch, bis er in seinem Job genug Kohle verdient, um sich selbst was zu suchen und einen anderen Cousin aufzunehmen. Tust du was Gutes, wirst du von deinem Dorf 8000 Kilometer weit weg stolz gefeiert; kackst du ab, schämt sich das Dorf wegen dir.
Das alles ist eine Last, aber dafür haben deine Kinder Omas und Opas, Tanten und Onkel, die sie wie ihre eigenen Kinder lieben. Sogar in O’side gehen die Kinder in den Häusern ein und aus, als wären es die Hütten im Dorf. Wenn deine Frau krank ist, tauchen Tanten auf, die du nie vorher gesehen hast, und bringen Töpfe mit Suppe, gekochtes Fleisch, Fisch und Reis.
Das ist aiga – Familie.
Und wenn du in der Klemme steckst, wenn dir jemand außerhalb der »Community« Ärger macht, deine Lebensgrundlage oder dein Leben bedroht, dann steht die ganze Sippschaft hinter dir; du musst nicht mal darum bitten. So wie die Dawn Patrol – wenn du den Wolf rufst, kommt das ganze Rudel.
Früher war Tide ein echter Gangbanger, ein matai – ein Häuptling – bei den Samoan Lords. Das war so, wenn man damals in Oceanside aufgewachsen ist, besonders in Mesa Margarita: Man hat Football gespielt und sich schwer bewaffnet mit den Jungs zusammen zugedröhnt. Gott sei Dank gab’s Football, denkt High Tide jetzt, weil er das Spiel liebte, und weil es ihn von den Drogen fernhielt. Tide war kein typischer Knarre schwingender, Crack rauchender Drive-by-Gangster. Nein, Tide hielt seinen Körper in Form, und wenn er gegen die anderen Gangs in den Krieg zog, dann auf die polynesische Art – Mann gegen Mann.
Die O’side-Schlägereien machten High Tide zur Legende. Er baute sich in voller Größe vor seinen Jungs auf, starrte die Gegner unerbittlich an und schrie » Fa’aumu! « – den uralten Schlachtruf der Samoaner. Dann ging’s los, hamo , und die Fäuste flogen, bis nur noch einer aufrecht stand.
Das war immer High Tide.
Genauso beim Football. Als High Tide geboren wurde, sah ihn der Arzt an und sagte: »Verteidiger.« Samoaner spielen Football, Punkt, und weil es in O’Side mehr Samoaner gibt als irgendwo sonst außerhalb von Samoa, ist das dortige Highschoolteam so etwas wie eine Kaderschmiede der NFL.
An High Tide kam niemand vorbei.
Er hat sie einfach weggeputzt, den Pulling Guard abgeworfen, als wär er eine Sandwichtüte, und den Ballträger in den Rasen gerammt. Die Teams, die in O’Side spielten, versuchten es irgendwann gar nicht mehr am Boden und warfen den Ball nur noch, wie seinerzeit die alten Air Coryell Chargers.
Den Talentscouts fiel das auf.
Tide kam vom Training nach Hause und fand stapelweise Briefe von Colleges vor, aber er interessierte sich nur für die San Diego State. Er wollte nicht weg von zu Hause – in keinen kalten Staat ohne Ozean. Und er würde sich auch nicht weit von seiner aiga, seiner Familie, entfernen, denn für einen Samoaner ist die Familie alles.
Also fing Tide auf vier Jahre an der State an. Wenn er nicht gerade Runningbacks schlachtete, surfte er mit seinen neuen Freunden: Boone Daniels, Johnny Banzai, Dave the Love God und Sunny Day. Die Gang gab er auf – das war bloß alter, schlapper Scheiß, der zu nichts führte. Manchmal trank er noch ein Bier mit den Jungs, aber das war’s auch schon. Er war mit
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